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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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der man glaubt, sie sei es.
    „Es gibt wohl gleichnamige Doppelgänger, Sie können sich noch so sehr abmühen und wissen nie sicher, mit wem Sie es zu tun haben.“
    Er bedachte mich mit demselben klinischen Blick, mit dem er eine Stunde zuvor den letzten Geistesgestörten des Tages taxiert hatte.
    „Und dann kann man auch noch seine Stimme verstellen.“
    Nina senkte den Blick. Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Um ein rundes Tischchen herum, als würden wir uns auf eine spiritistische Sitzung vorbereiten.
    Nert hatte seinen Militärdienst in Frankreich abgeleistet, sein Französisch war jedoch erstaunlich lückenhaft, und meist sprach er Deutsch. Nina übersetzte seine Antworten, von denen ich kein Wort verstand. Ich konnte gerade mal das Wort „Kinder“ heraushören, das ich seit Beginn meiner Recherchen oft gehört hatte und das ich eine Zeit lang für die Kinder Überraschung , dieses Schokoladenei, hielt.
    „Er war in der Tat weder schizophren noch paranoid, ja nicht einmal depressiv. Ein ganz normaler Mann, der sich vorwiegend um die Zukunft seiner Geldanlagen kümmerte. Ich habe ihm nie Psychopharmaka verschrieben, er hingegen wollte ständig Vitaminpillen und Ginseng. Seit seiner Anklage hat er lediglich ein Schlafmittel genommen, das war im September 2008 beim Bankencrash.“
    Er ließ sich meine Fragen oft von Nina übersetzen. Aus Angst, sie nicht zu verstehen, vielleicht auch, um sich Bedenkzeit zu geben.
    „Nein, seine psychische Konstitution entsprach nicht der eines Perversen.“
    „Er hatte keinerlei Gewissensbisse. Manchmal schien mir, er verstand gar nicht richtig, was man ihm vorwarf. Er sagte mir, er habe sein Leben lang hart gearbeitet, damit es seinen Kindern an nichts fehlte. Dass er keinen Unterschied mache zwischen den Kindern, die er mit seiner Tochter hat, und den Kindern von Anneliese. Dass er sie immer lieben würde und dass Roman ihm sehr fehle.“
    Ein idyllisches Bild des Kellers, an dem Fritzl sich gern labte.
    „Im Keller herrschte oft großes Glück. Angelika und ich haben jedes Jahr zu Ostern Eier versteckt, Sie hätten die Begeisterung sehen sollen, mit der sie am nächsten Tag herumgesprungen sind und die Eier gesucht haben! Wir haben zu ihnen gesagt: kalt, warm, heiß. Sie haben vor Freude geschrien, wenn sie endlich eines gefunden hatten. Und Geschenke? Ich habe ihnen jedes Jahr etwas geschenkt. Wenn sie im Fernsehen ein Spielzeug gesehen haben, das ihnen gefiel, habe ich es ihnen gekauft. Ich habe sie sehr viel mehr verwöhnt als die Kinder oben. Sie sind mich teuer zu stehen gekommen, aber ich habe meinem Geld nie hinterhergeweint.“
    Er fand es bedauerlich, dass die Polizei die Beweise seiner Großzügigkeit so schleppend publik machte.
    „Alle Rechnungen sind chronologisch in vierundzwanzig Ordnern abgeheftet. Sie müssen sie doch einzeln geprüft haben. Können Sie sie nicht einfordern?“
    Nert hatte darüber mit einem Polizeiinspektor gesprochen.
    „Das ist alles unter Verschluss.“
    „Hat er viel Spielzeug gekauft?“
    „Sexspielzeug? Ja, das eine oder andere.“
    Nert übermittelte Fritzl die Äußerung des Polizisten.
    „Es gab einen Fernseher, aber das hat nicht gereicht, um Angelika zu unterhalten, wenn ich nicht da war.“
    Angelika sagte, dass er das Spielzeug benutzt habe, wenn er mit ihr im Bett gewesen war. Gewalt, Verletzungen. Laut Angelika hatte er die Sachen verwendet, um sie zu quälen.
    „Haben Sie Angelika kennengelernt?“
    Nert ließ sich die Frage zweimal von Nina wiederholen, nahm sich Zeit, ein Ja oder ein Nein zu wählen.
    „Es war nicht meine Aufgabe, mich um Angelika zu kümmern.“
    „Haben Sie sie getroffen?“
    Sein Handy klingelte. Er ging nicht ran. Er drehte sich um, sah auf eine kleine Standuhr auf einer Kommode mit ineinanderverschlungenen weißen Blümchen unter dem bräunlichen Lack.
    „Ich denke, wir haben nun lange genug miteinander gesprochen.“
    „Hatte Fritzl sexuelle Beziehungen mit den Kindern im Keller?“
    Er verscheucht meine Frage wie eine Fliege. Nina will übersetzen, er fällt ihr ins Wort, spuckt eine Antwort auf Französisch aus:
    „Über Angelikas Beziehung zu ihren Kindern kann ich Ihnen nichts sagen.“
    Aus dieser Antwort auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt hatte, schien sich ein Verdacht zu ergeben.
    Die beiden anderen Psychiater, die Fritzl in der Untersuchungshaft examiniert hatten, bestätigten mir, dass die Psychiatrie vor Fritzl die Waffen strecke. Ein grauer, langweiliger Mann, der

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