Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
Vom Netzwerk:
einen schenkt, ist Angelika glücklicher als die Königinnen, deren König tot ist, glücklicher als die Jungfrauen, die Ehefrauen mit ihrem schon lange vernarbten Schoß, weil sie es satthatten, jahrelang auf den Penis eines Mannes zu warten, der abgestumpft ist von der Arbeit und der Tretmühle eines Alltags, der so nervtötend ist wie das Bellen der Motorräder, der Autos, der wütenden Laster. Die ganze Nacht streifen sie wie verwirrte Hunde durch die Stadt, in der Fritzl aus einer ungewollten Schwangerschaft entstanden ist und sterben wird, ohne es überhaupt zu merken, denn seine Existenz wird zweiundneunzig Jahre lang nur eine endlose Metapher des Nichts gewesen sein.
    Der Keller wurde zum Schmelztiegel einer Sexparty, deren Gäste im Inzest geboren werden. Moral löst sich auf – um nicht mehr unter der Folter zu leiden, beschuldigt man seinen Sohn und willigt erleichtert ein, dass seiner Tochter Arme und Beine abgehackt werden.
    Das klebrige Morphium des Koitus perlt am Ende des Harnleiters, bevor es herausfließt, Angelika tränkt und sie glücklich macht wie ein Mohnfeld: Angesichts der Angst, der Todesangst, ist da das Bedürfnis des Körpers, diesen heftigen Angriff des Orgasmus zu empfinden, der Angelika heimlich überwältigt.
    Die Moral, dieser Luxus für die Wohlhabenden, die Satten, erlischt mit dem Zustand des Wachseins. Die Albträume sind frei, Vergewaltigung wird zum Scherz des Mordes, Inzest zum Lächeln des Kindesmords.
    Kalte Dusche nach der Sauna. Meine Hirngespinste ziehen sich zusammen wie alles andere auch. Jedenfalls sind Eltern seit Sigmund Freud offiziell zwei Krankheiten, und das Kind braucht sein ganzes Leben lang, um davon zu genesen. Die Kinder aus dem Keller könnten die Vorbilder einer Kaste von Psychoanalytikern werden, die ihre Patienten in einen schwarzen Schrank sperren, damit sie die Urszene leichter verarbeiten können, bei der sie mit ansehen mussten, wie ihr Großvater ihre Mutter penetriert, um den Jahrestag ihrer Zeugung zu feiern.

Der Anwalt verlor keine Zeit. Gleich beim Verlassen des Kommissariats gab er sein erstes Interview. Lodenmantel, schwarze Nerzmütze, halbmondförmige Brille auf der Nasenspitze. Er versuchte, die europäischen Journalisten zurückzudrängen, um sich vor die CNN- Kamera zu stellen. Er sprach fließend Englisch, er untermalte seine Rede mit ausladenden Gesten, wie um die Welt daran zu erinnern, dass der Südwesten Österreichs eine gemeinsame Grenze mit Italien hat.
    „Aber Frau Fritzl hat wirklich geglaubt, dass ihre Tochter bei einer Sekte war. Ihr Mann hatte es ihr versichert. Aus welchem Grund hätte sie seine Worte anzweifeln sollen?“
    „Wir sind hier nicht in Los Angeles. Bei uns leben Familien nicht wie in Hippie-Kommunen. Ich würde sie eher mit einem Inselstaat vergleichen, der von einem Stammeshäuptling regiert wird, einem ganzen Archipel, dem die Gleichberechtigung der Frau so angelegen ist wie Ihnen die Hungersnot in Bangladesch!“
    „Frau Fritzl hat den Keller nie betreten. Was hätte sie dort unten denn auch machen sollen? Putzen? Dieses große Haus in Ordnung zu halten hat ihr schon genug Arbeit gemacht.“
    „Neugierig, die Kinder? Machen Sie Witze? Herr Fritzl war ein sehr strenger Vater, die Kinder haben ihm aufs Wort gehorcht. Sie waren so erzogen worden, dass sie ihren Kopf nur in der Schule angestrengt und ihr Gehirn zu Hause wieder an einen Haken neben ihre Kappe gehängt haben. Sie haben alles geglaubt, was man ihnen gesagt hat. Sie wären niemals auf die Idee gekommen, den Keller auszukundschaften.“
    Dem österreichischen Fernsehteam war es gelungen, sich vorzudrängeln. Er sprach weiter Englisch.
    „Sie wissen doch, dass Inzest bei uns ein geringfügiges Vergehen ist. Höchstens drei Jahre Gefängnis, und das auch nur, wenn man einen schlechten Anwalt hat. Würde man im ganzen Land DNS-Tests durchführen, würde herauskommen, dass eine beträchtliche Anzahl unserer Mitbürger die Frucht eines inzestuösen Verhältnisses ist. Das ist eine typisch österreichische Angelegenheit, die wir so schnell wie möglich klären müssen, damit die Kinder, die durch ihr jähes Aufschlagen in der menschlichen Gemeinschaft schon ausreichend desorientiert sind, ihren Vater zurückbekommen. Der Keller war ein Kokon, unsere Welt ist ihnen zu groß, sie werden Jahre brauchen, um sich einzugewöhnen.“
    Er wirbelte herum, um sich wieder in die Bahn der CNN -Kamera zu begeben.
    „Hat Ihr Mandant allein gehandelt?“
    „Daran

Weitere Kostenlose Bücher