Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
Vom Netzwerk:
prahlen Sie nicht damit, die Geschworenen sind oft kleine Leute, Neider, die Stars kategorisch mobben. Wir müssen bescheiden auftreten und versuchen, Sie in einem günstigen Licht zu zeigen. Ideal wäre, wenn wir die Geschworenen davon überzeugen könnten, dass das Baby bei seiner Geburt ein Wonneproppen war und dem plötzlichen Kindstod erlegen ist. So könnten wir jedes Verdachtsmoment bezüglich seines Todes ausräumen und auf eine Höchststrafe von fünf Jahren kommen. Mit meinem rhetorischen Talent könnten wir sogar ein Strafmaß erwirken, das mit der Untersuchungshaft abgegolten wäre. Sie wären dann nach dem Prozess ein freier Mann.“
    „Wann wäre das?“
    Der Anwalt überlegte.
    „Wissen Sie, wenn das erhoffte Urteil gesprochen ist, sollten wir vielleicht zwei, drei Tage warten und Ihre Haftentlassung diskret handhaben, damit Sie nicht vor dem Gerichtssaal von irgendwelchen Wichtigtuern gelyncht werden. Vielleicht kann man Sie ja auch durch eine Hintertür führen.“
    „Eine Hintertür?“
    Der Anwalt neigte den Kopf und dämpfte die Stimme, als würde er einem kleinen Kind ein Geheimnis anvertrauen.
    „Die Leute. Die Leute mögen Sie nicht.“
    Enttäuscht blickte Fritzl auf und starrte traurig den ausgeschalteten Fernseher an.

In der Regenbogenpresse ließ die Empörung über Österreich nicht nach. Seitenweise Anschuldigungen gegen dieses Land, das in seinem Kellergeschoss noch immer nationalsozialistisch war. Ein Journalist forderte sogar ein Eingreifen der UNO. Blauhelme sollten das Land von oben bis unten durchkämmen, und eine ganze Schar abnormer Väter müsste im Gänsemarsch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag antanzen.
    Die Regierung war in Verlegenheit. Die Rechtsprechung sah kein Gesetz vor, um dieses unfassbare, noch nie da gewesene Verbrechen zu sanktionieren. Die Verfassung gestattete es nicht, rückwirkend Verordnungen zu erlassen. Das Justizministerium rief hastig die Elite der österreichischen Juristen zusammen und beauftragte sie damit, im Gesetzbuch nach einer Bestimmung zu suchen, die Fritzls Strafe vergrößern könnte.
    Ein altgedienter Jurist fand schnell ein Gesetz gegen Sklaverei, das sowohl diejenigen bestrafte, die Menschen veräußerten, als auch jene, die sie erwarben. Dieses Gesetz war nie angewendet worden, es war in aller Eile gleich nach dem Krieg als Zierrat ratifiziert worden.
    „Mit diesem Hauptanklagepunkt könnte man ihm fünfzehn Jahre Haft aufbrummen.“
    „Er hat seine Kinder nicht verkauft.“
    „Er hat sie auch nicht gekauft.“
    „Nicht einmal verliehen.“
    „In jedem Fall müsste man Beweise erbringen, damit man Klage erheben kann.“
    „Man könnte ihm im Tausch gegen eine frühzeitige Entlassung ein Geständnis vorschlagen. Schließlich sind nicht gehaltene Versprechen die schönsten. Diejenigen, die sie bekommen haben, können weiterträumen, ohne dass es jemanden etwas kostet.“
    „Das lässt sich nicht aufrechterhalten.“
    Dennoch hieß der Minister diese Entdeckung gut. Gleich berief er eine Pressekonferenz ein, um die gute Nachricht zu verkünden. Ein italienischer Journalist empörte sich auf Deutsch:
    „Und wegen guter Führung wird er dann nach acht Jahren entlassen?“
    „Nein, das verspreche ich Ihnen.“
    „Er sollte zum Tode verurteilt werden.“
    Raunen im Saal. Eine verführerische Idee, aber zu barbarisch, als dass man in Europa bis dahin laut darüber nachgedacht hätte. Im Süden der USA hingegen pries man die Segnungen der Gaskammer. Laut einem obskuren Käseblatt aus Montgomery, Alabama, dessen Sonntagsbeilage sich dem Fall widmete, säuberte man mit der Todesstrafe ein Land sehr viel wirkungsvoller von seinen Kriminellen als mit den Annehmlichkeiten eines Gefängnisaufenthalts.
    „Tut es Ihnen nicht leid, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde?“
    Der Minister erblasste. Der ehemalige Stotterer holte tief Luft, bevor er antwortete.
    „Österreich gehört zur EU. Diese Vermutung ist völlig haltlos.“
    Die Konferenz endete in einem Tumult – in einem Sturm des Aufbegehrens, der Abscheu, des Gefühls, dass Österreich seine Verbrecher schütze, seien es nun alte Nazis oder ungehorsame Bürger.
    Seit diesem Vorfall wetterte Gretel allenthalben. Er sprach von Menschenrechtsverletzungen.
    „Zudem ist das absurd und dumm. Wieso bezichtigen Sie meinen Mandanten denn nicht auch noch, Hitler bei dessen Machtergreifung geholfen zu haben, als er noch in den Testikeln seines Vaters geschlummert hat?“
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher