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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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gern mal für eine Woche in die Sonne.“
    „Es ist noch zu früh, Herr Fritzl.“
    Der Anwalt hatte begriffen, dass Wahrheitsfindung und die strenge Anwendung des Gesetzes auf die tatsächlich erhobenen Anklagen nicht Teil des Prozesses sein würden. Man musste Fritzl zu lebenslanger Haft verurteilen, mindestens zu fünfzehn Jahren, und dann hoffen, dass er im Gefängnis stirbt, damit dem Land die Schande erspart bliebe, ihn eines Tages wieder übermütig und im Rampenlicht der Medien herauskommen zu sehen, die sich freuen würden, wieder an eine alte Praxis der Belagerung und der Sensationsberichte über Fritzl anknüpfen zu können.
    „Aber ich habe niemanden umgebracht.“
    „Na und? Sie haben ja auch noch nie einen Stand mit kleinen Negerlein auf dem Markt von Amstetten betrieben. Die Welt hat uns in der Hand. Sie sind wie ein Land, dessen Zerstörung die internationale Staatengemeinschaft beschlossen hat. Wenn es dazu beitragen würde, dass die Öffentlichkeit Sie hinrichtet, würde man sogar Massenvernichtungswaffen in Ihrem Keller finden.“
    Gretel fand seine Worte brillant. Er schrieb sie in sein Heft.
    „Aber ich habe mein Leben lang Steuern bezahlt. Ich habe wie jeder andere Bürger das Recht auf einen fairen Prozess.“
    „Sie werden das Recht auf eine kleine Farce vor einem schnuckeligen Gericht haben, aber Ihnen überhaupt einen Prozess zuzubilligen, scheint nicht auf der Tagesordnung zu stehen.“
    Bevor Gretel seinen Mandanten verließ, schlug er ihm auf die Schulter.
    „Sie dürfen unter keinen Umständen gestehen, Herr Fritzl.“
    „Was?“
    „Dass Sie dieses Kind umgebracht haben.“
    Die Tür schloss sich hinter ihm. Fritzl war enttäuscht. Er schrieb einen Brief an den Staatsanwalt und teilte ihm mit, dass Gretel ihn von nun an nicht mehr verteidigen würde. Den Brief heftete er ab und wartete darauf, dass ihm der Name eines anderen Anwalts einfiel.
    In den folgenden Tagen spürte Gretel, dass sein Mandant ihm nach und nach entglitt. Fritzl ließ ihn reden, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, er überging alle seine Fragen mit einer wegwerfenden Geste. Er weigerte sich sogar, eine Tasse Nescafé mit ihm zu trinken.
    „Sind Sie müde, Herr Fritzl?“
    „Die Immobilienkrise verursacht mir Schlaflosigkeit.“
    „Ich kann versuchen, es so einzurichten, dass ich Sie besser am frühen Nachmittag besuche.“
    „Nach dem Mittagessen halte ich für gewöhnlich einen Mittagsschlaf.“
    „Und am Abend?“
    „Vielleicht lohnt es sich nicht mehr, dass Sie jeden Tag kommen.“
    „Mögen Sie mich nicht mehr, Herr Fritzl?“
    Fritzl senkte den Blick wie eine Braut, die sich nicht traut, das Ende der Verlobung zu verkünden. Rot vor Verwirrung, so einen Unsinn von sich gegeben zu haben, öffnete und schloss Gretel mehrmals den Kiefer, um ein Lächeln vorzutäuschen.
    Er stand auf, drückte seine Aktentasche an die Brust und ging ohne ein Wort. Er beugte kurz den Oberkörper wie ein Schauspieler, dem das Publikum mit spitzen Fingern applaudiert und der sich schleunigst hinter die Kulissen zurückziehen will, um sich nicht den Pfiffen der wütenden Menschen aussetzen zu müssen, die er schon oben im Olymp hören kann.
    Bei jeder Stufe, die er die Eisentreppe herunterstieg, wurde Gretel um ein paar Monate jünger. An der Kontrollschleuse glitzerten Tränen in seinen Augenwinkeln. Nachdem er sein Alter abgelegt hatte wie eine Stripperin ihre Kleider, war er nur mehr vierzehn Jahre alt, als er vor das Tor trat. Er war wieder im April 1962 gelandet, als seine Freundin ihn nach einer mehrere Monate dauernden Liebesbeziehung verlassen hatte, aus Gründen, die er nie erfuhr. Er hatte das Gefühl, aus einem Nest gefallen zu sein, sich in die kalte Wohnung seiner eiskalten Eltern zurückzuschleppen, die ihm nie Zärtlichkeit entgegengebracht hatten. Heute aber handelte es sich nicht um jugendlichen Liebeskummer, sondern um sein Schicksal. Er hatte zu lange von Ruhm geträumt, um in Würde mit anzusehen, wie er ihm vor der Nase zerplatzte wie ein Luftballon.
    Mit hängendem Kopf ging er mitten durch die Gruppe der Journalisten hindurch, die sich vor dem Gefängnis die Beine in den Bauch standen. Als er in sein Auto stieg, schlug er sich den Kopf an.
    Eine Stunde später war er zu Hause, konnte sich jedoch überhaupt nicht daran erinnern, gefahren zu sein. Der Wagen musste ihn von ganz allein in den Stall zurückgebracht haben wie ein Pferd, das spürt, dass sein Reiter zu betrunken ist, um die Zügel zu

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