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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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Polizei alle Keller im Land durchsuchen. Wer weiß, ob manche unserer Mitbürger nicht seit dreißig, vierzig Jahren gefangen gehalten werden? Vielleicht sogar alte Leute, die man als Kinder noch vor dem Krieg eingesperrt hatte …“
    Mit dem leuchtenden Blick eines Visionärs drehte er sich einmal um seine eigene Achse.
    „Herr Fritzl, stellen Sie sich ein komplett unterirdisches Land vor, unzählige Keller, die unter Umständen nicht wie Ihrer über modernen Komfort verfügen. Kein Strom, kein Tageslicht, Menschen, deren Augen wie bei Tiefseefischen verkümmert sind wie Rosinen, weil sie nicht gebraucht werden. Womöglich ganz autonome Populationen, die autark von Pilzen, Endivien, eben von allen Gemüsesorten leben, die im Dunkeln gedeihen, und natürlich von verirrten Maulwürfen, die sie roh essen, noch pulsierend und warm. Ganz zu schweigen jedoch von denen, die nicht findig genug waren, um unter so extremen Bedingungen zu überleben und wenige Wochen nach dem Tod ihres Vaters gestorben sind.“
    Fritzl stand vom Hocker auf, füllte Wasser in den Kessel und machte zwei Tassen Nescafé .
    „Noch immer keinen Zucker?“
    Gretel nahm wieder Platz, schlürfte das Gebräu mit spitzen Lippen, um sich nicht die Zunge zu verbrühen. Eine Zunge, die er sehr pflegte, er bürstete sie dreimal am Tag und massierte die Papillen mit der Kuppe des Zeigefingers. Wenn seine Frau ihn dabei ertappte, schlug sie sich infolge eines leisen, respektlosen Lachens die Hand vor den Mund.
    Er musterte sie.
    „Meine Zunge ist mein Arbeitsgerät.“
    Fritzl war ganz zufrieden mit seiner beheizten Zelle, die auch noch sehr viel gemütlicher war als die, in der er mit diesem unerträglichen, kindermordenden Pastor eingesessen hatte. Er konnte sich Pomade besorgen, einen elektrischen Rasierapparat, Nivea- Creme; die Anti-Aging-Creme hatte die Gefängnisverwaltung allerdings nicht auf Lager.
    Nach der Urteilsverkündung teilte er die Zelle für ein paar Tage mit einem jungen Straftäter, aus dem er erfolglos einen Sohn im Geiste zu machen versuchte, indem er ihm sein Leben als gutes Beispiel darstellte.
    „Eines Tages wird Österreich meine Qualitäten anerkennen.“
    Gegenwärtig hatte die Gefängnisleitung strikte Anordnungen, die darauf abzielten zu verhindern, dass ein moralistischer Gefangener Fritzl eine Gabel ins Herz rammte. Flankiert von zwei Aufsehern hatte er Hofgang um dreizehn Uhr, wenn seine Mitgefangenen in ihren Zellen zu Mittag aßen, und noch einmal am Spätnachmittag, nachdem die anderen schon für die Nacht weggesperrt waren. Er war ziemlich betrübt, weil er diesem Publikum, das er sich voll der Bewunderung für seine Talente als transgenerationeller Erzeuger vorstellte, seine Flausen nicht präsentieren konnte. Das Personal hatte Anweisung, nicht über das dienstlich Notwendige hinaus mit ihm zu sprechen.
    Für fünfzehn Euro im Monat verfügte Fritzl über eine Satellitenschüssel, welche die Programme auf den Fernseher neben der Tür übertrug. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er damit, durch die Sender zu zappen, bis sein Konterfei auf dem Bildschirm erschien. Jedes Mal notierte er sich auf einem Block das Ausstrahlungsland. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd, wenn er sich auf einem russischen, indonesischen, chinesischen Kanal entdeckte. Noch schmeichelhafter war für ihn der Sender eines Kontinents, der so weit entfernt war, dass er als freier Mann gezögert hätte, dorthin zu reisen, weil der Flug von Österreich so weit war.
    Die Gefängnisleitung bewilligte ihm alles, was er brauchte, um seine übertriebene Ordnungsliebe zu stillen. Er hatte drei Ringordner mit blauem Plastikdeckel bekommen, die er auf eines der Betonregale gestellt hatte. In durchsichtigen Schutzhüllen heftete er dort die Kopien seiner Aussagen und Zeitungsausschnitte über sich ab. Gretel brachte ihm regelmäßig einen Armvoll Zeitschriften, in denen Fritzl oft in den Schlagzeilen war. Nach einer Woche quollen die Ordner über. Danach legte er die Ausschnitte in alten Lebensmittelkartons ab, die ihm der Aufseher aus der Küche besorgte.
    Er träumte von Gesprächen mit Journalisten in der Hitze der Blitzlichtgewitter und Scheinwerfer. Er stellte sich vor, wie er sein Einkommen bei seiner Entlassung vergrößerte, indem er den britischen Medien Exklusivinterviews gab, die seit der Entdeckung des Kellers hinter den Beteiligten her waren wie Schakale.
    „Ich bin ein internationaler Star.“
    „Sie sind weltberühmt, Herr Fritzl. Aber

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