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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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halten.
    Seine Frau sah ihn aschfahl durch das Wohnzimmer gehen. Er hob den Deckel des Klaviers an, setzte sich auf den Schemel. Er konnte nicht Klavier spielen, aber wenn er bedrückt war, klimperte er manchmal, um die Stille zu verdrängen, die sich auf das Packeis seiner verlorenen Illusionen legte.
    Sie ging in ihr Schlafzimmer, um dem Lärm der jämmerlichen Töne zu entgehen, die völlig verstört waren, weil sie so schlecht in falsche Harmonien eingebunden wurden, und im Raum kollidierten wie ein Schwarm Flugzeuge in einem Magnetsturm.
    Er aß nicht zu Mittag. Zu fertig, um noch einmal ins Auto zu steigen, ließ er sich im Taxi zu einer Parfümerie in der Innenstadt bringen. Mit großen Schritten ging er zum Tresen.
    „Ich hätte gern eine Anti-Aging-Creme.“
    „Für Sie selbst?“
    Er ließ sich Zeit und atmete tief ein – solche Angst hatte er, zu stammeln wie ein Kind, das man fragt, was es denn wohl mit einer Packung Präservative anstellen wolle.
    „Für Männer.“
    Mit mehreren Tuben Creme, Duschgel, Körperöl und Rasierbalsam mit Alaun verließ er das Geschäft. Seine Aktentasche war davon ganz aufgebauscht. Der Aufseher bedachte ihn mit einem spöttischen Blick, als er die Sachen auf das Förderband an der Sicherheitsschleuse des Gefängnisses legte.
    Fritzl saß am Tisch, als er kam. Bei Gretels Überraschungsbesuch kniff er die Augen zusammen wie eine Katze, die man aus einem Nickerchen reißt.
    „Sie hier?“
    Mit zärtlichem Glanz in den Augen, als wolle er ihn umarmen, ging Gretel auf Fritzl zu.
    „Ja, Herr Fritzl, hier bin ich.“
    „Ich habe Sie nicht erwartet.“
    Gretel trat von einem Bein aufs andere, als er seine Mappe öffnete und die Präparate vorsichtig auf den Tisch stellte. Eine Art bartloser Weihnachtsmann im grauen Flanellanzug.
    „Ich habe Ihnen ein paar kleine Geschenke mitgebracht.“
    „Geschenke?“
    „Nicht der Rede wert, aber mir ist wichtig, dass Sie für die Verhandlung topfit sind. Ich komme gerade vom Minister, ich habe ihm unsere Verfahrensweise dargelegt.“
    Eine Notlüge. Fritzl schien sie zu beeindrucken, sein Lächeln wurde sogleich breiter.
    „Ich habe ihm damit gedroht, ein paar Details aufzudecken, die ganz Österreich in Verlegenheit bringen würden, er hat schon die Kugeln um seine Ohren pfeifen hören.“
    „Was für Details?“
    „Eine Menge Kleinigkeiten, über die wir nie gesprochen haben und sicherlich auch nie sprechen werden. Unser Schweigen wird uns die Milde der Behörden einbringen, sobald das Urteil gesprochen ist. Auch nach einer Verurteilung ergeben sich Ausgangsmöglichkeiten – Hafterleichterung mit Freigang an den Wochenenden, Klinikaufenthalte auf dem Land wegen eingebildeter Krankheiten, vielleicht sogar eine Begnadigung durch den Präsidenten im August, wenn die Medien schlummern, ihre Leser, Hörer und Zuschauer mit Sonnenbrand am Strand liegen und eher Schönwettergeschichten hören wollen als aktuelle Nachrichten aus der Justiz.“
    Fritzl hatte seine Brille aufgesetzt, um die Gebrauchsanweisungen für die Präparate zu lesen, die er ausgepackt hatte, indem er vorsichtig das Zellophan mit dem Daumennagel aufgerissen hatte.
    „Kleinigkeiten, die selbstredend keine sind. Kleinigkeiten, die die Regierung zwingen würden, diesen Prozess nach Wien zu verlegen, weil im Gerichtssaal so viele Angeklagte Platz finden müssten. Skandalöse Details, die dieses Verfahren in die Nürnberger Prozesse verwandeln würden.“
    Fritzl sah auf.
    „Was für Details?“
    „Danach hat mich der Minister nicht gefragt – was stichhaltig beweist, dass es diese Details gibt, dass sie viel zu ungeheuerlich sind, um als geringfügig eingestuft zu werden, dass er sie besser kennt als wir und dass er eine Heidenangst davor hat.“
    „Und?“
    Gretel geriet in Verlegenheit. Er sah auf die Uhr, klappte sein Handy auf und wieder zu und rieb sich die Hände, um sich Bedenkzeit zu verschaffen.
    „ Und? Wir sind im Vorteil, mein Gott! Die lächerlichen Hauptanklagepunkte, mit denen man uns belastet, werden mit Sicherheit von den Geschworenen fallen gelassen, und der Richter, der an der Abstimmung teilnimmt, wird dazu raten, die Beratungen erst dann zu beenden, wenn die weitreichenden mildernden Umstände berücksichtigt wurden, auf die wir ein Recht haben.“
    „Meinen Sie?“
    „Ich werde auf Freispruch plädieren, und um die Weltöffentlichkeit nicht zu enttäuschen, werden Sie auf vier, fünf Jahre verurteilt. Und Sie wissen ja, wie viel die

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