Claustria (German Edition)
sehr gelungener Geistesblitz. Er löste jedes Mal einen nur mit Mühe erstickten Lachanfall aus. Der Satz war so oft wiederholt worden, dass die Satelliten im All sich vielleicht noch daran erinnern und ihn selbstvergessen mitten in einer Fußballberichterstattung senden oder bei einem Sensationsbericht über die bevorstehende Lancierung eines sagenhaften Handys, mit dem bei Kopfschmerzen jedwedes Neuron angerufen werden kann, das dann die Ordnung wiederherstellen muss wie der Kundenservice in einem Kaufhaus.
„Ich appelliere an die Vernunft. Wir müssen diesen Fall leidenschaftslos klären, ohne die Wunschvorstellungen der internationalen Meinung zu berücksichtigen.“
Doch immer fand sich einer, der sich aufregte.
„Ich bitte Sie, mein Herr, reden Sie doch nicht von vierundzwanzig Jahren Gefangenschaft! Angelika mag sich vielleicht in der ersten Zeit gesträubt haben, aber sie hat schnell wahre Leidenschaft für ihren Vater empfunden und bis zum Schluss, ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters, den sexuellen Kontakt mit ihm gesucht.“
Der Ton um Gretel herum wurde lauter. Unverschämte Fragen überschlugen sich, einige beschimpften ihn leise, einmal holte eine junge portugiesische Journalistin sogar zu einer Ohrfeige aus, die ihn knapp verfehlte. Gretel scheute sich nicht davor, Entrüstung hervorzurufen – Schauspieler fürchten lediglich Gleichgültigkeit und das Vergessen.
„Meine Aufgabe ist es, meinen Mandanten zu verteidigen, nicht, in Pathos zu verfallen, um Ihre Leser zu erschüttern und Ihnen dabei zu helfen, Papier oder Fernsehbilder zwischen Pepsi-Cola -Werbung zu verkaufen.“
Dann drehte er sich würdevoll um und ging gemessenen Schrittes zu seinem Wagen.
Gretel bekam einen Anruf von einem seiner Assistenten.
„Soeben wurde im Radio verkündet, dass gegen unseren Mandanten der Hauptanklagepunkt Mord aufrechterhalten wird.“
„Das kann nicht sein.“
„Das Justizministerium hat es mir bestätigt.“
Gretel legte auf.
„Auf Wiedersehen, Herr Fritzl.“
Er klopfte dreimal laut an die Tür. Der Wärter, der während des ganzen Gesprächs vor der Tür auf Posten bleiben und den Raum durch den Spion im Auge behalten musste, um sicherzustellen, dass sich keiner selbst tötete oder den anderen umbrachte, öffnete sofort und sah, wie der Anwalt auf den Gängen verschwand wie ein Irrlicht.
Vor dem Gefängnis ließ Gretel seine Wut am Fernsehteam von al-Jazeera aus.
„Bei Ihnen werden Delinquenten wenigstens nach den Geboten der Scharia verurteilt, hier steinigt man Unschuldige. Der Islam ist und bleibt unveränderlich und menschlich, während im Westen der Niedergang seinen Lauf nimmt. Man sperrt Familienväter weg und verzeiht ihren Töchtern, dass sie sie in Versuchung geführt haben. In Ihrer Weisheit erlauben Sie die Vielehe und interessieren sich nicht dafür, in welchem Grad die zweite oder dritte Ehefrau mit dem Mann verwandt ist. Soll Allah sich etwa um solche Nebensächlichkeiten kümmern? Mein Mandant ist Orientale, der zu seinem Pech im Bauch einer Österreicherin gewachsen ist.“
Er streckte einen Finger aus, vielleicht meinte er, damit nach Mekka zu zeigen.
„Dort wäre er womöglich auf dem Weg, als Prophet anerkannt zu werden!“
Selbst der Tontechniker wurde von einem erfreuten Zittern erfasst. Seine Mikrostange wackelte in seinen schlaffen Händen so im Wind, dass der Aufsatz des Mikros schließlich zu Boden fiel. Eine Bö übertönte Gretels letzten Satz.
„Es gibt Tage, an denen Demokraten wie ich besser dran wären, wenn sie Muslime werden würden.“
Eine Stunde später strahlte der Sender das Interview in einer Endlosschleife aus. Auf keinem westlichen Kanal wurde es gesendet. Es hieß, die Regierung habe diplomatische Wege eingeschlagen und damit gedroht, Medienteams, die das Schweigen über diesen Vorfall brechen würden, fortan von Pressekonferenzen auszuschließen. Sogar al-Jazeera gab sich gegen Mitternacht geschlagen.
Am nächsten Morgen bekam Gretel einen Anruf von der Anwaltskammer. Aus Angst vor einem Ausschluss verlor er die Lust, ein Loblied auf diese Religion zu singen, die all jene, die ihr nicht angehörten, fürchteten und verunglimpften.
Seit Fritzl nacheinander zum Sklavenhändler und Kindesmörder ernannt worden war, verging ihm oft das Lachen. Trotz allem wagte er es, Gretel noch einmal zu fragen, ob er auf eine zeitweilige Entlassung hoffen könne.
„Ich muss mich um meine Geschäfte kümmern, außerdem verreise ich im Sommer
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