Claustria (German Edition)
Unterbringung eines Gefangenen den Staat kostet. Das Gefängnis ruiniert uns, in einem sparsamen Staat dürften Gefangene nicht mehr als ein Drittel ihrer Strafe absitzen. In allerhöchstens zwei Jahren sind Sie also wieder zu Hause.“
Fritzl bezweifelte es, fand aber die Hoffnung verlockend.
„Wir werden der Sonne entgegengehen, Herr Fritzl.“
Dieser ließ sich einwickeln. Er setzte ein Raubtierlächeln auf, als er die königsblaue Paste einer teintaufhellenden Maske mit Aloe Vera auftrug.
Die Wolke, die über ihrem Idyll geschwebt war, löste sich langsam wieder auf. Aus Koketterie ließ sich Fritzl manchmal dazu hinreißen, einen Morgen lang zu schmollen. Er rollte sich auf seinem Bett zusammen und starrte die Wand an.
„Gibt es ein Problem, Herr Fritzl?“
Er antwortete nicht.
„Haben Sie meine Äußerungen gestern auf Star News verfolgt?“
Das Schweigen seines Mandanten, der eifersüchtig war, dass er nicht an seiner Stelle interviewt worden war. Gleich wechselte er das Thema.
„Ihre Tochter weigert sich, bei der Verhandlung auszusagen. Sie hat Angst, Ihnen gegenüberzutreten, den Blick des Vaters und Mannes auf sich zu spüren. Sie ist wohl ausreichend damit beschäftigt, zu vögeln. Die Polizisten kennen ihre Qualitäten, neulich habe ich so einen Bärtigen sogar einen anzüglichen Witz über ihr Zahnfleisch machen hören.“
Fritzl lachte lautlos in seiner Ecke.
„Wissen Sie, eine Woche nach der Räumung des Kellers hat man ihr wohl ein Gebiss verpasst. Jetzt aber schreibt sie einen Brief nach dem anderen an das Gesundheitsministerium und beantragt Implantate.“
Schweigen, nach wie vor Schweigen, während Gretel eine Pause in seiner Logorrhö einlegte, damit er wenigstens die Andeutung eines zustimmenden Brummens erntete.
„Sie hat noch immer den Teufel im Leib, ich gebe ihr kein halbes Jahr, bis sie wieder schwanger wird. Na ja, heutzutage nennt man Nutten ja ‚sexuell Aktive‘.“
Ein Schweigen, das die Zelle nun auskühlte wie ein Schneesturm. Gretel schlug den Kragen seines Sakkos hoch und blies sich in die Hände.
„Dass sie nie zugeben wollte, dass die Presse gelogen hat! Sie ist wie das blühende Leben aus diesem Keller gekommen, mit Zigeunerinnenohrringen, die Sie ihr zum Namenstag geschenkt hatten, mit ihrer Löwenmähne, die sie jede Woche gefärbt hatte, ihrer nach Belieben gebräunten Haut. Sie hütet sich wohlweislich zu sagen, was ihre Eitelkeit Sie gekostet hat. Die Wohnung war ja nicht groß, der Haushalt schnell gemacht, sie hatte alle Zeit der Welt, sich unter die Höhensonne zu legen und sich zu schminken, um Sie besser aufzugeilen, wenn Sie sie besucht haben.“
Die Höhensonne kommt in der Inventarliste der Polizei nicht vor.
„Anstatt sich aufzubretzeln, hätte sie sich lieber um die Erziehung ihrer Kinder kümmern sollen. Analphabeten, die sich in ihrer Jugend Fernsehserien und Videoclips reingezogen haben. Sie hatte nichts aus der Chance gemacht, ihre Kinder vor Herumtreiberei, Straffälligkeit, schlechtem Umgang geschützt zu wissen. Zumindest hätte sie sie dazu anhalten können, ein paar Stunden am Tag zu lernen, anstatt ewig Ferien in dieser physisch wie psychisch ungesunden Umgebung zu haben.“
Getragen von seinem Redeschluss, war ihm nunmehr weder kalt noch warm. Automatisch schlug er seinen Kragen wieder herunter. Die Zelle hatte wieder die wohlige Temperatur dieses sonnigen Morgens Mitte Mai angenommen.
„Anstatt Sie – den fleißigen Arbeiter, den einstmals armen Studenten, der es aus eigener Kraft geschafft hat – ihren Kindern als Beispiel vorzuführen, hat sie darin geschwelgt, ihnen wie Kleinkindern Märchengeschichten von Korsaren und Piraten zu erzählen. Und dann dieser ständig laufende Fernseher, den sie anstelle eines Schullehrers hatten, mit seinen erbärmlichen Helden, die sich immer in jedes Laster stürzen und öfter den Revolver schwingen als den Füllfederhalter.“
Ein Sonnenstrahl fiel ihm ins Auge, er schüttelte den Kopf, um ihn loszuwerden.
„Absolute Unkultur, das ist der Sauerstoff, den sie ihren Kindern zum Atmen gegeben hat! Selbst in den Ferien habe ich nie zugelassen, dass meine Kinder rumhängen, dass sie müßig auf dem Bett liegen und so laut Musik hören, dass einem das Trommelfell platzt, auch nicht, dass sie sich Pornoseiten im Internet ansehen oder mit Kumpeln verkehren, die sie dazu animieren, zu trinken, mit Homosexualität zu experimentieren oder Drogen auszuprobieren. In diesem Keller, wo es nicht zu
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