Claustria (German Edition)
letzte Viertel der Flasche geleert. Er war recht und schlecht die Treppe hinaufgestiegen.
Frau Fritzl verachtete die Mieter. Sie behandelte sie so unhöflich wie die Domestiken, die sie nie gehabt hatte.
„Guten Abend, gnädige Frau.“
„Was ist?“
„Ich wollte Ihnen meine Glückwünsche aussprechen.“
„Ihre was?“
„Im Namen des proletarischen Internationalismus.“
Verblüfft sah sie zu, wie er seinen Fund in der Eingangsdiele aufreihte. Sie schrie auf, als er die Videokassette aus dem Beutel zog, und verscheuchte dieses angesäuselte Kerlchen mit einem Klaps.
Am nächsten Tag warf Fritzl seinen Mieter Ludwig noch vor Tagesanbruch hinaus. Als Ludwig mit seinem Koffer auf der Straße stand, sprach er Fritzl seine ganze Bewunderung aus.
„Das ist wirklich mutig, so ein Risiko auf sich zu nehmen. Ich kann Sie nur dafür loben, dass Sie mich rausschmeißen und stattdessen die Familie eingewanderter Genossen einziehen lassen, die Sie in Ihrem Keller verstecken.“
Fritzl zog drei Hundert-Schilling-Scheine aus seiner Brieftasche, Ludwig wollte sie nicht annehmen.
„Geben Sie diesen Leuten das Geld.“
Blass sah Fritzl zu, wie Ludwig unter dem Schein der Sternschnuppen wegtorkelte. Bevor er um die Ecke bog, drehte er sich um und dankte ihm mit einem dümmlichen Lächeln. Neun Jahre später war er enttäuscht, dass sein Held mitnichten für das Glück der Menschheit gekämpft hatte.
Die Apartments verloren stetig ihre Mieter. Fritzl musste das ganze Jahr über neue suchen. Manchmal ertappte er sie dabei, wie sie im Korridor über diese akustischen Phänomene sprachen.
„Haben Sie das am Samstagabend gehört?“
„Vielleicht betreibt er da unten einen Prostituiertenring. Womöglich ist der Keller durch einen unterirdischen Gang mit dem Bahnhof verbunden.“
„Einen Pädophilenring – man hört oft Kinder schreien.“
„Sollen wir ihn trotzdem nicht anzeigen?“
„Im Krieg haben uns Denunziationen ziemlich geschadet.“
Sie packten lieber ihre Sachen.
Im März 2001 ging eine Rentnerin zur Gendarmerie. Eine verhutzelte alte Jungfer.
„Es klingt nach Geschlechtsverkehr.“
Man machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Aussage aufzunehmen. Die Beamten rissen Witze darüber und vergaßen die Angelegenheit schnell. Ein Gendarm vertraute mir an, dass keiner ein Wort zu den Ermittlern gesagt hatte, aus Angst, eine Verwarnung zu bekommen, weil sie es nicht für nötig erachtet hatten, sich vor Ort zu begeben.
Fritzl fürchtete, dass irgendwann Gerüchte in der Stadt laut werden könnten. Er beschloss, nun keine Anzeigen mehr zu schalten, um die Mieter zu ersetzen, die nacheinander auszogen.
Ende Dezember 2002 wohnte noch ein Mann namens Gerald bei Fritzl. Der letzte Mieter hieß Hugo, er wohnte vom 1. März bis zum 12. Juni 2003 im Haus. Aus Angst, entdeckt zu werden, wenn er voller Vorräte den Garten durchquerte und durch die kleine Kellertür verschwand, vermietete Fritzl ihm das einzige Apartment, dessen Fenster zur Straße ging.
Er hatte Hugo verboten, seinen Labrador auf dem Rasen auszuführen.
„Er würde Löcher ins Gras scharren, und meine Frau mag keine Hundehaufen. Außerdem erlauben wir Ihnen nur ausnahmsweise, einen Hund zu halten, und ich würde ihm raten, nicht zu bellen.“
Doch der wahre Grund war, dass Fritzl dies zum Anlass nahm, die Miete zu erhöhen.
„Paare bezahlen immer einen Zuschlag.“
Schon nach wenigen Tagen beschwerte Hugo sich über Babygeschrei, dicht gefolgt von den erstickten Schreien einer Frau. Roman war gerade geboren worden. Fritzl servierte Hugo seinen Eintopf aus Argumenten. Aber der Mann war hartnäckig.
„Machen Sie Witze?“
„Natürlich. Alle diese Geräusche produziert Ihr Gehirn. Sie sollten heiraten. Wenn man seine Abende und seine Wochenenden mit einem Hund verbringt, hört man am Ende Geräusche.“
Mit einem kleinen schelmischen Lächeln legte Fritzl seinem Mieter die Hand auf die Schulter.
Hugo gelangte schließlich zu der Überzeugung, dass das Masturbieren ihn verrückt machte. Überdies wurde das Geschrei seltener, je älter Roman wurde.
Anfang Juni geriet Hugos Hund außer sich. Mitten in der Nacht bellte er wie wild, er schnürte im Zimmer umher wie besessen und lief geradewegs gegen die Wände, bis er betäubt auf den Boden fiel. Weder durch Kraulen noch durch Klapse war er zu beruhigen. Zudem bleckte er jedes Mal die Zähne, wenn Fritzl ihm über den Weg lief, und Hugo musste sich gegen die Leine stemmen, damit der
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