Claustria (German Edition)
eingedrungen. Sie trug ihn auf dem Arm in die Küche, nahm Watte und eine Flasche Alkohol aus dem Arzneischränkchen über dem Waschbecken.
Martin jammerte nicht ein einziges Mal, als sie die Wunde desinfizierte. Ein Streifen von einem alten Laken diente als Verband. Sie legte Martin aufs Bett. In den darauffolgenden Tagen hatte er Fieber, die Wunde eiterte. Angelika rieb sie ab, spülte sie mit Alkohol.
Fritzl philosophierte.
„Die Natur ist die beste Arznei.“
Er sollte recht behalten. Einen Monat später war nur noch eine hässliche Narbe zu sehen. Weiterhin Schmerzen, es dauerte ewig, bis die Knochenhaut sich wieder mit Kalzium aufbaute, das der Körper so schlecht speicherte.
Der Keller bewahrte eine schreckliche Erinnerung an den Labrador. Die Kinder legten ihre Angst vor Tieren nie ab. Nach ihrer Befreiung machten ihnen sogar Yorkshireterriers Angst. Wenn sie von Weitem einen Hund kommen sahen, erstarrten sie auf dem Gehweg, egal, ob die Leute sie anrempelten, und hofften, das Tier würde sie für einen Pfosten halten.
Fritzl zog den Hund aus dem Keller, trieb ihn mit Tritten hinauf. Als er die Tür zum Erdgeschoss öffnete, traf er Anneliese mit einem Zuber nasser Wäsche an, die sie hinten im Garten aufhängen wollte. Sie spürte, dass sie nicht befugt war, ihren Mann in diesem Augenblick zu sehen, und sie sah ihn auch nicht. Fritzl zog den Hund ins Apartment und sperrte die Tür zweimal ab.
Bei einem Interview mit einem italienischen Fernsehsender zwei Wochen nach der Entdeckung des Kellers stellte der Mieter eine gewagte Hypothese auf, um das merkwürdige Verhalten seines Hundes zu erklären: Der Labrador könne genau gewusst haben, was sich im Keller abspielte, auch wenn er niemals eine Pfote dort hineingesetzt hatte.
„Der Geruchssinn von Hunden ist fünfunddreißig Mal besser als der des Menschen. Seine Vorstellung der Welt ist im Grunde olfaktiv. Sein Gehirn konnte Ausdünstungen wahrnehmen, die aus dem Keller aufstiegen, und sich ein genaues Bild des Ortes und der dort eingeschlossenen Personen machen.“
Überdies hing der Kellergeruch in Fritzls Kleidern.
„Dieser Kerl stank wirklich. Jedes Mal, wenn mein Hund ihm begegnete, nahm er mit seiner Nase eine Art Widerhall der Qualen wahr, denen Angelika und ihre Kinder dort unten ausgesetzt waren.“
Diese aus der Luft gegriffene Behauptung wurde noch am selben Abend von einem Veterinär der alten Schule widerlegt.
„Ein Tier aus der Familie der Caniden hat sicherlich die Fähigkeit, die Welt komplexer wahrzunehmen als ein Pflanzenfresser, verfügt aber dennoch nicht über Intuition. Nur ein Allesfresser der Spezies Mensch ist in der Lage, aus einer Indizienkette eine Welt abzuleiten.“
Trotz allem gelangte das Bild des Labradors über die Weltmeere und kam auf das Titelblatt von Pet’s Life , einer australischen Zeitschrift, die sich dem Wohlbefinden von Haustieren widmet.
Gerald wohnte einige Monate vor Hugo im Haus. Er hielt kein Haustier. Fritzl hatte ihn aus Sehnsucht nach der gar nicht so lange zurückliegenden Zeit aufgenommen, als er noch einen ganzen Stall voller Mieter hatte, die ihm erlaubten, seiner Knauserigkeit zu frönen. Gerald war ein friedlicher Junggeselle, der spätabends nach seinem Dienst im Bahnhofslokal von Amstetten nach Hause kam.
Eines Nachts, nachdem er in der einzigen Nachtbar des Ortes noch etwas getrunken hatte und automatisch durch das Fensterchen am Eingang blickte, sah er Fritzl mit seinen vielen Einkaufstaschen über den Rasen trotten.
Er dachte sich die Geschichte eines Mannes aus, der sich seiner Bulimie schämte und Lebensmittel versteckte, um sie zu horten und, geschützt vor fremden Blicken, in aller Ruhe zu vertilgen. Die Packungen mit Monatsbinden – mit dem Bild einer Frau im weißen Kleid, die auf einer Wiese einer ganzen Schar weizenblonder Kinder hinterherläuft – dienten zweifellos dazu, seine Ergüsse auf der Grundlage uneingestandener Fantasien aufzuwischen oder sich zu schnäuzen. Menschen haben solche Marotten.
Fritzl hatte den Keller an Geralds Stromzähler angeschlossen. Einen Monat nach seinem Einzug wunderte sich der Mieter über die astronomische Stromrechnung für einen Mann, der allein auf fünfundzwanzig Quadratmetern lebte. Er beschwerte sich bei Fritzl.
„Das muss ein Fehler in der Leitung sein.“
Bei der nächsten Ablesung war sein Verbrauch drastisch gesunken. Als man einmal Straßenarbeiten durchführte, nutzte Fritzl dies aus und zweigte Strom von der Gemeinde
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