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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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aus Angst vor den Ratten zornig zusammenfegte.
    „Was machst du da? Such sie, deine kleinen Scheißer!“
    Fritzl hatte gebrüllt. Er schlug Angelika. Sie konnte dem Hieb fast ausweichen, doch Fritzls Hand traf ihr Ohr, das zu dröhnen begann.
    Sie rannte ins Kinderzimmer.
    „Kommt da raus!“
    Kleinlaut kamen sie unter dem Bett hervor. Angelika ohrfeigte sie. Im Pulk trabten sie wieder zu ihrem Vater zurück.
    „Kommt her!“
    Zitternd gehorchten sie. Mit kleinen Schritten näherten sie sich dem Hund. Nun zeigte er die Zähne. Hätte Fritzl ihn nicht gehalten, wäre er ihnen an die Gurgel gegangen.
    Er packte Petras Hand und legte sie auf die Flanke des Tiers.
    „Streichle ihn, du dumme Kuh.“
    Mit verkrampften, angstvoll gekrümmten Fingern machte Petra eine Bewegung vor und zurück. Dann legte er dem Mädchen den Hund an den Hals, bis ihr Gesicht das Fell berührte. Nase und Mund steckten im Pelz. Der Hund hatte angefangen zu bellen.
    „Riech, schmeck, das da ist ein Hund!“
    Petra schluchzte.
    „Los, los!“
    Er drückte ihren Kopf hinunter. Petra wollte diesen Geruch nicht riechen. Sie presste die Lippen zusammen, damit sie keine Haare in den Mund bekam.
    „Dumme Kuh!“
    Er drückte ihren Nacken hinunter, gleichzeitig zog er so stark am Halsband, dass er den Hund fast strangulierte.
    „Beiß hinein. Oder ich lasse ihn los, und er frisst dich!“
    Petra öffnete den Mund einen Spalt.
    Angelika sah reglos zu, sie hielt Martin am Arm fest, damit er nicht wieder weglief. Damals herrschte ihr Vater noch wie ein absoluter Tyrann über sie. Erst nach Romans Geburt fing Angelika langsam an, ein wenig Macht zu gewinnen und hin und wieder zu bocken wie eine richtige Ehefrau. Doch wenn Fritzl ihr dann eine schmierte, gewann er seinen Tyrannenstatus zügig wieder zurück.
    Aus Ekel musste Petra sich erbrechen, der Hund bellte wie verrückt.
    „Blöde Sau!“
    Fritzl packte Petra an ihrem schütteren Haar, riss sie von dem Hund weg und stieß sie von sich. Sie flüchtete sich zwischen die Beine ihrer Mutter und hielt sich den Bauch.
    Angelika versuchte, Martin zu überreden.
    „Willst du dieses Tierchen nicht ein bisschen streicheln?“
    Martin starrte sie an, mit runden Augen wie zwei Zielscheiben.
    „Komm.“
    Er leistete passiven Widerstand, aber seine vierzig Kilo konnte Angelika leicht tragen. Mit Schaum vor dem Mund und zurückgezogenen Lefzen bellte der Hund weiter. Martin fürchtete sich vor dem Lärm, den Reißzähnen. Er stieß einen gellenden Schrei aus, einen Schrei, der durch Mark und Bein ging und taub machte wie eine Rückkopplung. Ein Schrei aus den Tiefen der Urgeschichte, als die Hominiden gerade einmal angefangen hatten, sich von den Tieren zu unterscheiden und eher von diesen gejagt wurden, als selbst zu jagen. Durchdringend, bohrend pflanzte der Schrei sich in die Nachbarhäuser fort.
    Die Leute hielten sich die Ohren zu. Der Hund stürzte sich auf Martin, biss ihn. Fritzl wich zurück, zog sich in Richtung Schleuse zurück, als wolle er seinen Sohn dem Tier überlassen und ihn dort einsperren.
    Auf Befehl ihres Reptiliengehirns warf Angelika sich auf den Hund und würgte ihn. Schließlich ließ er Martins Bein los. Seinem offenen Maul entwich lediglich ein schwaches Keuchen.
    Fritzl stieß Angelika mit einem Tritt um. Sie ließ den Hund los, blieb reglos auf dem Boden liegen. Eine Unterwerfungsgeste. Sie hatte herausgefunden, dass die Tritte irgendwann aufhörten, wenn sie sich tot stellte.
    „Du hättest ihn fast umgebracht!“
    Fritzl war bleich, seine Stirn glänzte vor Schweiß.
    „Wenn ich ihm den Hund nicht zurückbringe, erstattet er Anzeige bei den Bullen.“
    Der Hund röchelte lauter, er drehte den Kopf und zuckte mit den Pfoten. Fritzl beugte sich über ihn und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken.
    „Bring ihm Wasser.“
    Angelika füllte in der Küche eine Schüssel mit Wasser und stellte sie neben die Hundeschnauze. Langsam kam das Tier wieder zu Atem. Gleichmäßiger Atem, wenngleich ein verwirrter Blick.
    „Und das Kind? Kümmerst du dich nicht um das Kind? Soll es verrecken? Soll ich seine Leiche in deinem Bett verfaulen lassen?“
    Martin hatte sich hinkend in sein Versteck verzogen. Petra war zu ihm gegangen. Sie drückte ihren Mund auf die Wunde, eine Art lebendes Pflaster. Erschöpft vom Schmerz weinte er nicht mehr.
    Angelika zog Petra weg, holte Martin vorsichtig unter dem Bett hervor. Das Blut lief, die Zähne waren bis zu den Knochen

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