Claustria (German Edition)
vergebens.
Am Spätnachmittag verabschiedete Gretel sich.
„Bis morgen, Herr Fritzl.“
Fritzl begnügte sich mit einem Nicken.
Der Anwalt entwickelte gern seine Theorie über die Kunst, vor dem Geschworenengericht einen Prozess zu gewinnen.
„Angeklagter und Kläger müssen ein Duo bilden – wie im Zirkus der dumme August und der weiße Clown. Natürlich darf man sich nicht über die Opfer lustig machen, aber je tragischer der Fall ist, desto erstrebenswerter ist es, für eine Entspannung der Geschworenen zu sorgen, bevor die Anklage die Sitzung in ein Melodram verwandelt. Entspannte Geschworene können Distanz zu den Fakten bekommen und neigen dann zu wirklicher Nachsicht. Im Verlauf der Anhörungen werden wir uns bewegt zeigen, mitunter auch erschüttert, aber wir werden auch lachen. Ja, wir werden lachen. Ein Prozess ist natürlich eine Tragödie, es muss aber auch Platz für einen Jux sein. Vergessen wir nicht, dass sich die Verurteilten in der guten, alten Zeit der Todesstrafe nicht gescheut haben, noch einen letzten Witz zu reißen, wenn man ihnen den Strang um den Hals gelegt hat. Die Justizgeschichte ist voller Anekdoten.“
Er senkte die Lider und träumte kurz von einem Vorhaben, das vielleicht die Kirsche auf dem großen Kuchen seines Ruhmes werden könnte.
„Ich könnte ja eine Anthologie der letzten Scherze der Gemarterten von der Antike bis heute herausgeben. Na ja, wir werden sehen. Bis dahin bereiten wir unsere Verteidigung unter der Maßgabe von Entspannung und Humor vor.“
Magister Gretel hielt Wort. Mit seinen Witzen gelang es ihm oft, dem Gerichtssaal den Anflug von Kabarett zu verleihen, obschon das Gericht ein Lachen voller Schamesröte zustande brachte, sodass man an diese nervösen Lachanfälle erinnert war, die mitten bei einer Beerdigung manchmal Tieftrauernde schütteln.
Gretel war sauer, weil Fritzl am dritten Verhandlungstag den Mord zugab.
„Das ist doch absurd, Herr Fritzl, Sie haben nie einen Menschen getötet!“
Bis zu seinem Tod war er überzeugt, dass Nert Fritzl mit seinen Fähigkeiten manipuliert hätte.
Bevor die Geschworenen sich zur Beratung zurückzogen, spottete Gretel über die österreichischen Staatsanwälte und Advokaten, die den juristischen Unterschied zwischen Mord und dem simplen Vergehen, jemanden wegen unterlassener Hilfeleistung sterben zu lassen, nicht kannten.
Lebenslänglich. Für Gretel ein demütigendes Urteil, Fritzl aber nahm es gleichmütig auf. Am selben Morgen hatte er sogar erklärt, er habe Pläne und wolle seine Haft nutzen, um sie zu verwirklichen. Der Richter war erstaunt.
„Pläne welcher Art, Herr Fritzl?“
„Ich habe vor, Geld zu verdienen und meine Geschäfte wieder aufzunehmen, um meiner Familie zu helfen.“
„Wie?“
„Ich werde arbeiten.“
„Welcher Tätigkeit wollen Sie sich zu diesem Zweck widmen?“
„Die Welt muss meine Geschichte erfahren.“
Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik für geistig abnorme Delinquenten wurde er in die Justizanstalt Stein verlegt, ein ehemaliges Kloster in Krems an der Donau. Die Anstaltsleitung hatte ihm einen Computer bewilligt. Er fertigte Übersetzungen wissenschaftlicher Texte an, mit denen ihn einer seiner einstigen Arbeitgeber beauftragte.
„Finanziell geht es mir gut.“
So beendete er jeden Brief an seine Schwägerin, die Einzige, die ihm manchmal schrieb und ihn besuchte, um anschließend den Medien Informationen zu geben.
„Er arbeitet viel, er ist bei zufriedenstellender Gesundheit, er hat mir aufgetragen, Angelika und die Kinder, mit denen er seit seiner Inhaftierung keinerlei Kontakt mehr hat, für ihn zu umarmen.“
Fünf Jahre später versuchte Fritzl sich im Online-Trading. Möglich machte es das WI-FI, mit dem man die Zellen dieser Vollzugsanstalt in einem Pilotprojekt versuchsweise ausgerüstet hatte. Den Großteil seiner Einnahmen als Übersetzer zog sein gesetzlicher Vertreter ein, um seine Schulden zu begleichen. Fritzl hatte ein lächerliches Kapital und auch nicht genug Talent, um es zu vermehren.
Unter der Drohung, von der Anwaltskammer ausgeschlossen zu werden, wenn er sein Tagebuch veröffentlichte, verbrannte Gretel es bei einer Verwandten, die einen offenen Kamin besaß. Er beschloss seine Existenz als Pensionist, vergessen, verbittert, weil ihm das Leben nur einen zu kurzen Moment des Ruhmes geschenkt hatte. An einem Dienstag starb er in einem Linzer Supermarkt, wo er sich über ein beworbenes Wasserbett
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