Claustria (German Edition)
Hund seinem Vermieter nicht an die Kehle sprang.
„Das Tier hat wohl die Tollwut. Lassen Sie ihn impfen.“
Der Hund wäre irgendwann aufgrund seines nächtlichen Spektakels vor Erschöpfung gestorben. Der Mann zog aus. Langsam beruhigte der Hund sich wieder. Doch bis zu seinem Lebensende bekam er immer wieder Rückfälle. Der Tierarzt meinte, sein ehemaliger Besitzer müsse ihn wohl heimlich geschlagen haben und davon hätte er sich nie vollständig erholt.
Entgegen allem Anschein war Fritzl froh gewesen, dass dieser Hund in sein Haus gezogen war. Trotz seines Widerwillens, fortan Ohrenzeugen zu beherbergen, hatte er diesen letzten Mieter nur wegen des Hundes akzeptiert.
Ein guter Vater musste seinen Kindern die Natur nahebringen. Erst kürzlich hatte er ihnen ein Glas Regenwasser und eine Thermoskanne mit Hagelkörnern gebracht. Es war gut, dass sie eine Begegnung der dritten Art in Gestalt eines Hundes haben könnten, der drolliger war als die Nagetiere, die den Keller als Kantine nutzten.
Eines Junimorgens nützte Fritzl Hugos Abwesenheit aus. Er drang in dessen Apartment ein und holte den Hund, der sich über den unverhofften Spaziergang freute.
Fritzl hielt ihn fest am Halsband, im Garten aber konnte er sich losreißen. Er sprang umher, Fritzl lief ihm nach. Vor dem Schwimmbad fing er ihn ein, der Hund war stehen geblieben, um Wasser zu schlabbern.
Er lockte ihn mit einem Zuckerstück und schleifte ihn in den Keller. Er schob ihn vor sich her und half mit Fußtritten nach, so wie man Vieh in den Stall treibt. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und schnupperte mit erhobener Schnauze.
Kaum war die erste Stahlbetontür offen, sprang er durch das Labyrinth. Als Fritzl die Tür wieder schloss, fing der Hund an zu bellen. Kleine verstaubte Lampen in großen Abständen an der feuchten Wand. Einige waren schon seit Jahren kaputt, die anderen warfen fahle Lichtflecken auf die gestampfte Erde.
Fritzl drückte den Hund so fest, dass er ihm fast die Rippen brach. Er hörte auf zu bellen und gab ein klagendes Jaulen von sich. Schließlich gewöhnte er sich an die Dunkelheit und verstummte.
Fritzl setzte ihn wieder auf die Pfoten, zog ihn durch die Räume. Er ließ ihn nicht los, als er den Code der letzten Schleuse eingab. Er stieß ihn in den Keller, dabei musste er sich ungeachtet seines Rheumatismus verrenken. Um den Hund nicht loslassen zu müssen, trat er ihn, und sobald er im Verlies war, flüchtete sich das Tier unter ein großes Regal aus Metall, das die Wände der ersten Kammer bedeckte.
Fritzl schloss die schwere Tür. Mit einem Fußtritt vertrieb er den Labrador aus seinem Versteck und bugsierte ihn weiterhin mit Tritten auf die verdutzten Kinder zu. Petra war vierzehn, Martin dreizehn. Die Kleinen hatten weiße Gesichter wie mit Raureif überzogen, ihre Köpfe waren mit der einzigen Schere im Keller geschoren worden. Neben Angelikas Bett schlief Roman in der Kiste, die den Neugeborenen des Kellers als Wiege diente.
Reglos starrten die Kinder den Hund an, der sich mit einem Satz umgedreht, sich wieder versteckt hatte und vor Angst winselte. Angelika – sie stand hinter den Kindern und umschlang sie mit den Armen – deutete auf das Tier.
„Das ist ein Hund. Wie im Fernsehen.“
Sie schauten alle Tiersendungen an. Angelika hatte ein Bilderbuch, in dem sie ihnen Katzen, Fische und Raubtiere zeigte. Sie waren erstaunt, dass die Tiere in einem so schlechten Zustand waren – flach, schwarz und grau auf dem braunfleckigen, vergilbten Papier –, wo sie auf dem Bildschirm doch so lustig waren. Sie fragten sich, wie dieses Tier es geschafft hatte, aus dem Fernseher zu springen, aus dem bislang noch niemand herausgekommen war.
Fritzl kniete, er zog den Hund am Halsband, der sich ziehen ließ wie ein Toter. Fritzl hob ihn hoch und wollte ihn seinen Kindern zuwerfen wie einen Ball, doch er war zu schwer. Fritzl ließ ihn fallen.
„Das ist ein Hund, ich hab’ euch doch versprochen, dass ich euch eines Tages einen Hund bringe.“
Das Tier richtete sich auf, drehte sich zu den Kindern um. Mit zusammengebissenen Zähnen und eingezogenem Schwanz sah der Hund sie an.
Fritzl gab ihm einen Klaps auf die Schnauze.
„Aufwachen, du Nichtsnutz!“
Er zog ihn am Halsband. Doch die Kinder wichen zurück, je näher er ihnen kam. Schließlich krabbelten sie weg und schoben sich unter die Stockbetten, wo sie schon lange eine Höhle eingerichtet hatten und manchmal Kekse und Schokolade versteckten, die ihre Mutter
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