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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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ein Flügel schlug im Wind. Aufkleber auf den grauen Scheiben, an der Wand Bilder von Lastwagen, Motorrädern, Sängern, deren Gesicht ich zum ersten Mal sah, und ein paar Familienfotos, auf denen die Kinder Ski fuhren, schwammen oder lächelnd in einer Ecke des Gartens standen. Playmobil-Teile knirschten unter den Schuhen.
    Die Betten standen noch immer da, einige waren Stockbetten, bezogen mit Laken, Federbetten, zerknitterten Polstern. Sie trugen noch immer die Abdrücke der Kinder, die man am übernächsten Morgen nach der Entdeckung des Kellers weggebracht hatte, nach dem unwirklichen Wiedersehen mit dieser Mutter, deren Lippen bei jedem Wort ein schwarzes Loch entblößten, den beiden Brüdern, die sich in einer unbekannten Sprache miteinander verständigten, der Schwester, die man ihnen auf dem Gang des Spitals bewusstlos und mit Schläuchen verbunden hinter einer Scheibe gezeigt hatte. Unheimliche leibliche Geschwister, von denen es im Fernsehen hieß, sie hätten bis jetzt unter ihrem Haus gelebt.
    „Wir haben das Echo gehört.“
    Anneliese brachte sie zum Verstummen. Angelika schwieg mit finsterer Miene.
    Es war noch ein bisschen Spielzeug zurückgeblieben. Schrott, den sie nicht für nötig erachtet hatten, in die Sporttaschen zu packen, die jeder bekommen hatte, damit er seine Sachen mitnehmen konnte.

Am übernächsten Tag nach der Räumung des Kellers beschloss die Polizei, die Kinder wegzubringen, um ihnen die Hetzjagd der Kameraleute zu ersparen, der Profi- und Amateurfotografen, der Bilderjäger aller Art, der Journalisten und Psychologiestudenten aus Brighton, die auf Sprachreise in der Gegend waren und unter Anleitung ihres Dozenten alle Freiwilligen der Stadt Fragebögen ausfüllen ließen.
    Der Dozent hatte schon einen Plan ausgeheckt, um die Familie in den Hinterhalt zu locken, sie eine halbe Stunde lang festzuhalten und einer Reihe von Tests zu unterziehen, die er durch eine eigenhändig entwickelte Software laufen lassen und somit den seelischen Zustand der Kinder von unten mit dem der Kinder von oben vergleichen könnte.
    Da er der Kinder aber nicht habhaft werden konnte, umzingelte er mit seiner Truppe eines Morgens Anneliese, als sie aus dem Haus kam und auf den Markt gehen wollte. Sein Auftritt war Gegenstand einer Reportage für das englische Boulevardblatt The Sun . Nach der Veröffentlichung schickte ihm die Universität einen gesalzenen Brief und forderte ihn auf, sich mit seinen Jüngern in die Berghütte zurückzuziehen, wo sie logierten. Ein abgelegener Ort, wo sie zum Zweck des Fremdsprachenerwerbs lediglich die Kühe plaudern hörten.
    Planen waren vor der Tür gespannt worden, damit man nicht sah, wie die Kinder im Gänsemarsch das Haus verließen und in den Polizeibus stiegen wie eine Horde Diebe, die man gerade in einer Spelunke aufgegriffen hatte. Die Fahrt mit all den netten Polizisten fanden sie toll, einer ließ sie sogar mit seiner Dienstwaffe spielen, nachdem er das Magazin entfernt hatte.
    Der Bus wurde von Polizisten auf Motorrädern eskortiert. Eine umständliche Fahrt voller Polizeisperren, damit die Medien dem Konvoi nicht folgten. Zwei Stunden später ließ man sie vor einem weiß verputzten Grandhotel aussteigen, einem Haus der Kette Relais & Châteaux , das den Winter über geschlossen war. Der Minister hatte es in aller Eile angemietet, weil es in der Gegend das einzige Hotel inmitten eines Parks war, den hohe Mauern umgaben.
    Ein flüchtiger Traum. Für jeden eine Suite mit Fernsehern, so groß wie Plakate, und Whirlpools, die in die Marmorbäder eingegraben zu sein schienen, mit großen Fenstern, die auf einen Weiher voller Statuen sahen, auf Bäume und den Rasen, auf dem die Polizisten mit geschultertem Gewehr Runden drehten.
    Das Personal war unverzüglich durch Aufseher ersetzt worden, die man aus dem benachbarten Gefängnis angefordert hatte. Berufsbedingt vergaßen sie immer anzuklopfen, bevor sie ein Zimmer betraten, und schlugen laut die Türen zu. Sie wankten unter dem Gewicht der Tabletts, mühten sich weiterzulächeln, wenn sie sich in einem Zimmer breitmachten, nickten über der Suppe oder dem beinharten Zwetschkenkuchen ein, den sie kurz zuvor aus dem Kühlraum geholt hatten.
    Am selben Abend gelang es einem Paparazzo, mit Haken, die er nacheinander zwischen die Steine schlug, eine Mauer zu erklimmen. Bevor er das Gebäude noch erreichen konnte, setzte man ihn außer Gefecht und ließ ihn am nächsten Morgen wieder frei. Aus Furcht vor einem

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