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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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einem Staubpolster dick und weich geworden war.
    „An Ihren Schuhsohlen wird ein Stückchen von dem Haus kleben bleiben.“
    Klebriger Staub, selbst der Luftzug, der von irgendwoher kam, konnte ihn nicht anheben.
    „Türen, immer weitere Türen.“
    Eine Reihe Türen rechts, eine Reihe links, eine dicht neben der anderen, als lägen dahinter Toilettenkabinen. Ganz hinten ein quadratischer Durchgang und drei Stufen darunter eine angestrichene Eisentür, die an diesem Ort des Verfalls eigenartig makellos wirkte.
    „Draußen ist es besser.“
    Er wühlte in seinen Taschen nach dem Schlüsselbund.
    „Warum sperrt man eine Terrasse ab, frage ich Sie.“
    Das Schloss drehte sich, ohne zu quietschen, die Tür ging leise auf.
    „Hin und wieder hat er auch Geschmack bewiesen.“
    Eine Art Landschaftsterrasse. Sandsteinplatten, ein Rasen, der merkwürdigerweise trotz des Winters grün war und aussah wie eine Wiese, weil er nicht gemäht worden war. Hier und da ein paar welke Blumen vom vergangenen Sommer, steif saßen sie auf ihren Stängeln. Rechts Büsche von einem unwirklichen, satten Grün. Ich riss ein Blatt ab, um mich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich aus Plastik waren. Links fünf Spindelsträucher nebeneinander. Eine breite blaue Markise zum Schutz vor Sonne und Regen, ein paar Sessel und ein Tisch aus weißem Plastik, an der Wand lehnten zusammengeklappte Liegestühle. Ich fand, es müsste schön sein, sich an einem Sommerabend ins Gras zu legen und in den Himmel zu blicken.
    „Schöne Aussicht.“
    Er kicherte.
    „Na ja, wenn die Stadt schön wäre …“
    Ich trat an die Balustrade, warf einen Blick in den Garten hinunter. Bäume, ein abgedeckter Pool, hinten eine Garage. Außer dem Motorrad sah man auch die Tore des kleinen Fußballplatzes neben dem Haus der jähzornigen Nachbarn.
    Der Anwalt machte sich hinter mir zu schaffen. Trotz der Kälte und der schwarzen Wolken, die so aussahen, als wollten sie gleich ihre Ladung ausgießen, klappte er zwei Liegen auf. Er setzte sich, sein Körper bildete eine Kugel, der Stoffbezug der Liege hing durch wie ein Hosenboden. Er legte die Hände auf die Armlehnen, sein Kopf fiel ihm auf die Brust und ruhte auf dem kleinen Polster seines Doppelkinns. Er schloss die Augen, atmete in ausgiebigen Zügen durch die Nase und blies durch den Mund das Kohlendioxid wieder aus, das in der Kälte dampfte.
    Ich ging zu ihm. Er zuckte zusammen, als er meine Schritte hörte.
    „Wollen Sie sich nicht ein wenig ausruhen?“
    Ich setzte mich neben ihn. Aus der Tasche zog er seinen Zigarrenstumpen, den er gerade eben an der Wand von Fritzls Schlafzimmer ausgedrückt hatte, und klemmte ihn zwischen seine Zähne. Er begann, mit Bruststimme zu sprechen wie ein Schauspielschüler, der seinen Vortrag probt, indem er auf einen Korken beißt.
    „Als Angelika am 11. September gesehen hat, wie die Zwillingstürme eingestürzt sind, hat sie gehofft, es würde auf Stadt und Land in aller Welt Boeings regnen. Die Überlebenden würden sich unter die Erde flüchten und wie sie ein Kellerleben führen. So hat sie es gesagt, ein Kellerleben.“
    „Hat sie Ihnen das selbst gesagt?“
    Er antwortete nicht. Die Sätze kamen weiterhin um die Zigarre herum, die die Hälfte seines Mundes versperrte.
    „Diese Nivellierung nach unten hätte ihr gefallen. Ja, nach unten, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. Dann wäre sie einfach Wegbereiterin einer neuen Zivilisation der Erniedrigten gewesen. Ihr Schicksal und das ihrer Kinder wäre Gemeingut geworden, und sie wäre von der Angst befreit gewesen, eines Tages wieder an die Erdoberfläche kommen zu müssen.“
    „Haben Sie sie kennengelernt?“
    Schwerfällig stand er auf.
    „Ich sollte Ihnen jetzt die Zimmer zeigen, an deren Türen Sie vorbeigekommen sind.“
    Ein komisch konstruierter Satz, den er auf Französisch begonnen, auf Deutsch beendet und schließlich auf Englisch wiederholt hatte, nachdem er gemerkt hatte, dass ich nicht verstand, was er sagen wollte. Während der Hausbesichtigung hatte er oft auf Deutsch gemurmelt, hatte lästigen Gedanken nachgehangen, die er gegen seinen Willen hegte.
    Wir gingen wieder hinein. Er sperrte die Terrassentür ab.
    „Ich respektiere die Gepflogenheiten des Hauses.“
    Ein Haus, bei dem die Marotten des weggesperrten Eigentümers zu den Marotten des Gebäudes selbst geworden waren.
    „Wollen Sie die Zimmer wirklich sehen oder haben Sie genug für heute?“
    „Ich habe nicht vor,

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