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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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erwischt, wie er mit einem Taschenmesser die Wände abgekratzt hat. Das Schabsel hat er in nummerierte Tütchen gesteckt, eines für jeden Raum. Bevor er ging, fragte er mich, ob er ein Bein eines kaputten Sessels mitnehmen könne – als sei es ein Stück des wahren Kreuzes!“
    Der Anwalt zog Lederhandschuhe an, die er aus der Manteltasche gezogen hatte.
    „Man könnte diese Bude wirklich in Einzelteilen verkaufen. Man könnte sogar hiesigen Käse im Keller reifen lassen und ihn mit dem Bild des Alten auf der Verpackung zu Höchstpreisen verkaufen. Ich frage mich übrigens, ob es nicht schon T-Shirts mit der Visage von diesem Arschloch gibt. Oder Socken, Strümpfe, Teller. Ein Parfüm. Irgendwas Stinkendes, mit dem sich irgendwelche Gestörten einsprühen, bevor sie sich vor den Fotos vom Keller einen runterholen.“
    Plötzlich ein strahlendes Lächeln, das er mir zeigen will, indem er sein Handy an seinen Mund hält.
    „Fritzl würde gern ein Geschäft aufziehen und kleine Keller nach seinem Vorbild verkaufen. Keller als Schneekugeln, wie man sie in Lourdes mit der Heiligen Jungfrau bekommt. Mit Schnee – oder Blut, das würde sich besser verkaufen. Dieser Mann ist enttäuscht, er hat nicht einen Groschen aus dieser Affäre gezogen.“
    Er richtete das Handy auf den Boden.
    „Er hat alles versucht, alles ist in die Hose gegangen. Einer Boulevardzeitung wollte er die Protokolle seiner Aussagen beim Prozess andrehen, das Blatt hat sich am Ende aber geweigert, ihm die geforderten hundertfünfzigtausend Pfund Sterling zu bezahlen. Dann hat er über einen Immobilienmakler, mit dem er vor seiner Verhaftung Geschäftsbeziehungen pflegte, beim Internetauktionshaus ebay Übernachtungen in diesem Schuppen hier angeboten. Doch der Mann hatte nichts Besseres zu tun, als einem Redakteur vom ZDF die Neuigkeit zu stecken. Nach einem Tag in Polizeigewahrsam musste er das Angebot natürlich zurückziehen. Die Gebote waren bis über tausend Euro gestiegen. Hätte er eine Woche Pauschalurlaub im Keller angeboten, wären es sicherlich an die zehntausend gewesen.“
    Seufzen.
    „Trotzdem schade, dass sich das ganze Geld in Schall und Rauch aufgelöst hat.“
    Er klopfte sich mit der Kante seines Handys an die Stirn.
    „Wissen Sie, in diesem Haus habe ich das Gefühl, besoffen zu werden. Ich atme mehrere Stunden pro Woche diese Luft, und sie steigt mir zu Kopf.“
    Er nieste und zog seinen Schal gerade.
    „Na ja, auf jeden Fall bekomme ich hier Schnupfen.“
    Ein erneuter Niesanfall erstickte das Lachen im Keim, das er mir ins Gesicht dröhnen wollte. Schnäuzend verließ er das Zimmer.
    „Aber schwul sind Sie wenigstens nicht?“
    „Warum?“
    Er leuchtete mich an und blendete mich in der totalen Dunkelheit des Gangs.
    „Letzte Woche hat mich ein Mann in einem der Kinderzimmer bedrängt. Er war übererregt. Ich glaube, er ist extra gekommen, um sich in diesem Irrenhaus beim Vögeln einen Kick zu holen. Ich mit meinen dreiundsechzig Jahren und meinem Moskitogesicht habe ihn sicherlich nicht angemacht.“
    Angesichts seines dicken Kopfes und seiner Hängebacken fragte ich mich, was für ein Gesicht Moskitos wohl haben mochten.
    „Eine Frau ist einmal knallrot geworden, als sie das Zimmer vom Alten betreten hat. Sie war eigentlich ganz hübsch, Avancen hat sie mir aber nicht gemacht.“
    Aber es hat doch noch niemand behauptet, dass gruselige Beziehungen resistente Ausdünstungen verströmten, die durch die Luft übertragen werden wie diese geheimnisvollen Viren, die die Entdecker der Pyramiden getötet haben.
    „Na ja, ich hätte mich sowieso nicht darauf eingelassen.“
    Verzerrtes Gesicht über so einem nervösen Lächeln, das man aufsetzt, wenn man vor Kindern sein Grauen verbergen will.
    „Gehen wir hinauf?“
    Eine hoffnungsfrohe Frage. Es wäre ihm lieb gewesen, ich hätte ihm diese Prüfung erspart und ihm gleich meine Entscheidung mitgeteilt, das Haus zu kaufen, damit er nicht bei jeder Besichtigung ein bisschen gestörter wurde.
    „Ja.“
    Er schlug die Wohnungstür hinter uns zu und schloss zweimal ab.
    „Fallen Sie nicht.“
    Noch brüchigere Stufen als jene, die ins erste Stockwerk führten. Er ging mir voraus, im schwachen Licht des Handys konnte ich nur seine Silhouette erkennen.
    „Vorsicht, hier geht es runter.“
    Die letzte Stufe war höher als der Treppenabsatz – nachdem man sie erklommen hatte, musste man wieder einen Schritt nach unten machen. Im Korridor lag ein schäbiger Teppichboden, der von

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