Claustria (German Edition)
Treffpunkt. Es war gewittrig, Donner in der Ferne, kein Regen. Zusammentreffen mit einem japanischen Fotografen. Dicke Brille, Teleobjektiv, Stiefeletten aus rotem Leder. Er fühlte sich bemüßigt, zu mir zu kommen und mir den Grund seiner Anwesenheit zu nennen, als wäre ich der Hausmeister.
„Kyoto, Kyoto.“
Er zeichnete Bilderrahmen in die Luft.
„Museum, Museum.“
Ich schloss daraus, dass er eine Ausstellung für das Museum in Kyoto vorbereitete. Mit einer Handbewegung gab ich ihm zu verstehen, dass er weitermachen solle, als wäre ich gar nicht da.
Immer dasselbe enttäuschende Gefühl, dass der Ort keinerlei Hauch von Todesangst oder Geheimnis verströmte. Unter dem Himmel, grau wie eine Bleistiftzeichnung, stieg lediglich Ödnis zusammen mit melancholischem Grün vom Boden auf. Wie diese Ferienhotels, die genauso aussehen wie auf dem Videoclip ihrer Homepage, dass man den Eindruck eines Déjà-vu-Erlebnisses bekommt.
Ich versuche mein Glück bei den Bewohnern des Nachbarhauses. Ein klobiges Gebäude mit offenen Fensterläden, mitten im Garten steht ein Motorrad. Das Gartentor ist verschlossen, es gibt keine Klingel. Ich radebreche laut einen Satz auf Deutsch, so etwas wie: Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung , erinnere mich heute aber an kein Sterbenswörtchen mehr. In einem Fenster im Erdgeschoss geht das Licht an. Hinter den Scheiben sehe ich die Umrisse einer Frau. Ich mache ihr ausladende Zeichen, als sei sie ein Boot und ich eine Unannehmlichkeit, die man zusammen mit den Mülltonnen ins Meer gekippt hat. Die Gestalt zieht sich zurück, das Licht geht aus.
Ich gehe am Zaun entlang, drücke mich durch ein Loch im Maschendraht und zerreiße mir dabei den Schal. Ich stehe auf dem Privatgrund der wütenden Frau, sie erscheint auf einer Betonplatte, die sie wohl Veranda nennt, und gestikuliert. Sie schreit: „ Move on, private property, no journalists! “ Als könnte ich nicht genauso gut ein Herumtreiber oder ein Mörder sein.
Mit einem breiten Lächeln gehe ich auf sie zu.
„ Friend, friend! “
Sie zieht ein Handy heraus, wedelt damit herum wie mit einer Fliegenklatsche und schreit in allen europäischen Sprachen „Polizei!“. Ich ziehe mich rückwärts zurück, lasse sie dabei aber nicht aus den Augen, weil ich fürchte, sie könnte mir das Handy an den Hinterkopf werfen wie einen Stein.
Später erfuhr ich, dass dieses Nachbarsehepaar, von dem ich nur die Frau kennengelernt hatte und das nach der polizeilichen Befragung aus der Sache heraus war, nach einem wüsten Interview mit einem Redakteur eines spanischen Senders schnell jeden Kontakt zu den Medien verweigert hatte. Der Spanier hatte sie der Mitschuld bezichtigt und zu einem Geständnis bewegen wollen. Sie hatten sogar behauptet, der Typ hätte sie in eine Ecke des Wohnzimmers gedrängt und den Scheinwerfer des Kameramannes direkt auf ihre verstörten Gesichter gerichtet. Am nächsten Tag hatte der Sender diesen Irren abgezogen.
Der japanische Fotograf wartete ein paar Schritte vom Zaun entfernt auf mich. Er lächelte, die Kameralinse auf den Boden gerichtet wie ein gesenktes Gewehr zum Zeichen der Waffenruhe. Er sagte etwas in Zeichensprache zu mir. Plötzlich ging er los und drehte sich mehrmals um, um sicherzugehen, dass ich ihm folgte. Vor dem Hauseingang bewegte er meinen Körper wie eine Puppe, um mich richtig in Pose zu bringen. Er hat sogar meinen Kopf gedreht und nacheinander meine beiden Profile getestet, bevor er sich für die linke Seite entschied.
„Okay? Okay?“
Er nahm mein Schweigen als Zustimmung. Er hob die Kamera und begann, Bilder zu schießen wie mit einem Maschinengewehr. Aus Solidarität mit den Künstlern, die wie ich für ihr Scherflein arbeiten müssen, habe ich die Angewohnheit, mich vor Kameraobjektiven locker zu geben. Auch wenn ich mich immerzu frage, was sie wohl mit diesen Hunderten Bildern machen, die zu einem überwältigenden Großteil nie jemand sehen wird und die zusammen mit der Festplatte zugrunde gehen, wenn sie eines Tages ihren veralteten Rechner auf den Müll werfen.
„Nina told me you’re not a journalist, and you got a photographer. Visit cancelled.“
Ich hatte den Anwalt nicht kommen sehen. Ich servierte den Japaner ab, indem ich „ get out “ schrie. Er musste in meinem Blick gelesen haben, dass ich ihn liebend gern umgebracht hätte, wenn er nicht Reißaus genommen hätte. Er floh mit klappernder Fototasche und windzerzausten Haaren.
Ich vertrat mich in eigener
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