Claustria (German Edition)
Einnahmen aus dem Gasthof am See, den sie seit etwa zehn Jahren jeden Sommer bewirtschaftete, hatten trotz des vielen Regens im Juli alle Erwartungen ihres habgierigen Mannes übertroffen. Die Angst, überführt zu werden und den Rest seines Lebens im Gefängnis zu sitzen, hatte dazu beigetragen, ihn zu erweichen. Das Lob hatte Anneliese glücklich und stolz gemacht. Seither hat sie keines mehr bekommen.
Meistens war er ungehobelt.
,,Versteck deinen Speck.“
Seit der Geburt ihres ältesten Sohnes Andreas im Jahr 1957 hatte sie diesen Satz oft gehört. Als sie mit ihm schwanger gewesen war, hatte sie zugenommen und es nicht geschafft, wieder abzunehmen. Bei jeder ihrer darauffolgenden sechs Schwangerschaften war alles nur noch schlimmer geworden, vor allem nachdem sie 1971 auch noch Zwillinge geboren hatte.
Fritzl warf ihr das Fett vor, das nach und nach einen zweiten Körper um das junge Mädchen gebildet hatte, das er zur Frau genommen hatte. Feixend drohte er ihr, die Fettschicht mit einem Rasiermesser aufzuschlitzen und sie ihr abzuziehen wie bei einem Hasen.
,,Ich werde dir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren ziehen!“
Auf dem gehäuteten Körper würde die Haut eines attraktiven jungen Mädchens wachsen. Befreit vom Fettpolster wäre Anneliese für ihn kein Gegenstand des Abscheus mehr.
Ihr letzter Beischlaf hatte 1984 stattgefunden, ein paar Monate bevor Angelika in die Hölle des Kellers einfuhr, eine Hölle, die mit vierundzwanzig Jahren Fegefeuer definitiv abgegolten war. Natürlich hatte er hin und wieder eine Fellatio von Anneliese verlangt. Sie hatte ihrer Schwester anvertraut, dass sie sich dann immer wie ein alter Säugling fühlte, mit breitem Hintern und dem Fläschchen wie angewachsen im Mund.
Seit Anneliese dicker geworden war, konnte Fritzl den Anblick ihres nackten Körpers nicht mehr ertragen. Lange Zeit ärgerte er sich über sich selbst, weil er diesen fetten Leib trotzdem begehrte. Seit Andreas’ Geburt schlief er nur noch mit ihr, wenn sie ein altertümliches Nachthemd mit Schlitz im Schritt trug. Weil er es lustig fand, hatte er es ihr zwei Jahre zuvor bei einem Trödler gekauft, wo er immer getragene Kleider für sie besorgte, die sie, um ihre wenigen neuen Kleidungsstücke aufzusparen, zu Hause tragen sollte, wenn er nicht da war und weder er noch sonst jemand sie sehen konnte. Wenn er in sie eindrang, tat er es durch diesen Schlitz und stellte sich vor, das Tuch verhülle das junge Fleisch von früher.
Er war brutal. Manchmal gab es Blutflecken auf dem weißen Leinen. Die Nägel ließ er sich erst mit fünfzig maniküren. Damals hatte er lange, spitze Nägel aus hartem Horn, die durch den Stoff hindurch kratzten. Zärtlich und sanft war er nie gewesen, aber seine Wut steigerte sich mit all den Jahren, die sich schwer und schwabbelig an Anneliese sammelten wie die Orangenhaut, die sie, wie er ihr vorwarf, wachsen ließ auf dieser unter dem Gewicht der Zeit vermeintlich makellos gebliebenen Babyhaut von damals, so wie der weiße Marmor eines Atriums unter nächtlich gefallenem Schnee.
,,Ich bin zu alt, um noch ein Baby zu sein.“
,,Sieh dir doch die Frauen auf den Werbeplakaten der Apotheken an.“
,,Diese Cremes sind teuer.“
,,Du wirst nie wieder jung genug sein.“
Sobald Angelika im Keller war, war der Schatten der Lust verpufft, den er in den letzten Jahren mitunter noch für Anneliese empfunden hatte. Er fasste sie nur noch an, um sie mit aller Kraft zu schlagen, jedoch nicht mehr und auch nicht öfter als die Kinder.
Manchmal ließ er die Kinder nackt an der Wand antreten. Dann lud er sein altes Wehrmachtsgewehr, das ein Soldat weggeworfen hatte, als die Rote Armee in Amstetten einmarschiert war. Den Karabiner, einen 98k, hatte seine Mutter gefunden, ihn aber nie verscherbeln können.
,,Ich habe euren Ungehorsam jetzt satt! Ich werde euch hinrichten, einen nach dem anderen.“
Nacheinander drückte er den Kindern den Gewehrlauf ins Genick.
,,Ich weiß nicht, mit wem ich anfangen soll. Ich schieße einfach drauflos.“
Er setzte sich in seinen Sessel. Die Kinder zitterten schweigend. Sie warteten lange. Irgendwann stand er auf, entlud die Waffe, lud und entlud sie erneut.
,,Für dieses Mal seid ihr begnadigt.“
Die Kinder durften sich anziehen. Das Leben nahm wieder seinen Lauf.
Im Jahr 1981 warf Fritzl das Gewehr auf den Müll, als sein Sohn Harald volljährig geworden war und den Gendarmen am Tag seines endgültigen Weggangs von Amstetten diese
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