Claustria (German Edition)
deutschen Fernsehens, das in der Eingangshalle mit einem Assistenzarzt verhandelte, nicht für ihn interessierte. Als er auf dessen Höhe war, blieb er kurz stehen, traute sich aber im letzten Moment doch nicht, sich vorzustellen.
Am Abend ging er nicht in den Keller. Die Menschen von unten vergaß er leicht, wie ein Angestellter nach Feierabend seine Arbeit vergisst. In der ersten Zeit war der Keller für ihn ein geheimer Garten gewesen, von dem er oft geträumt hatte, wenn er nach dem Abendessen neben Anneliese, die auf ihren Rülpsern herumkaute, vor dem Fernsehen furzte. Damals hätte er seine abgenutzte Gattin gern rausgeschmissen und sie durch Frischfleisch namens Angelika ersetzt.
Aber heute war Angelika auch schon welk, und der Unterhalt des Kellers war ihm zur Qual geworden. Er bereute es oft, sie eingesperrt zu haben. Er hätte sie abhauen lassen oder sich lieber eine Geliebte irgendwo in der Stadt halten sollen. Sie hätte zwar langsam auch an Glanz verloren, hätte aber noch Zähne, und er hätte nicht das Gefühl, mit einer Hexe zu schlafen, die ihm bei jedem Wort das Zahnfleisch zeigte.
Am nächsten Tag fuhr er nach Wien. Er fuhr gern allein Auto und hörte dabei brasilianische Musik. Seit letztem Jahr träumte er von einer Reise nach Rio de Janeiro. Zwischen einer Schönheitsoperation und der nächsten paradierte dort diese ganze wundervolle, bunt zusammengewürfelte Bevölkerung am Strand. Anlässlich seiner Reise würde er sich ein Lifting und eine Fettabsaugung gönnen und vielleicht würde er ein Mädchen finden, das einsam genug wäre, um sich freien zu lassen.
Gegen ein Uhr mittags kam er in der Innenstadt von Wien an. Normalerweise aß er allein in einem Braugasthof und widmete sich abwechselnd seinem Teller und seinem Bierkrug. Er stopfte sich so voll, dass er den Eindruck hatte, sowohl an den Fleischtöpfen als auch direkt am Zapfhahn zu hängen. Ein animalischer, genüsslicher Moment. Doch an diesem Tag fuhr er gleich wieder nach Amstetten zurück, ohne überhaupt das Auto abgestellt zu haben. Er hatte fürchterliche Angst, den Keller leer und die Polizei darin lauernd vorzufinden, um ihn festzunehmen an diesem Ort, den die Öffentlichkeit wahrscheinlich für den Tatort eines Verbrechens halten würde.
Im Haus war es still. Er war enttäuscht, dass im Wohnzimmer kein Journalist auf ihn wartete.
,,War keiner da?“
,,Wer denn?“
Er überließ Anneliese ihrer Patience. Sie legte die Karten auf dem Wachstuch aus. Um sie herum stank die Küche nach dem Rest des Fischgerichts vom Vorabend, das sie gerade aus dem Kühlschrank geholt hatte, um eine Suppe daraus zu kochen.
Er ging hinunter und durchquerte das Labyrinth. Er horchte an der Wand direkt über der letzten Schleuse. Drei schlafende Exemplare der Spezies Mensch, abgeschnitten vom Rest der Welt.
Kurzatmig ging er wieder zurück, schlug die Türen nacheinander zu, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu verriegeln. In der ersten Zeit hatte es ihm Spaß gemacht, all diese Deckel auf- und zuzusperren. Jeder genießt die Etappen, die zum Orgasmus führen, aber nun endeten sie bei einer verbrauchten Frau, die Sex einforderte. Das lastete auf ihm wie eine Bürde, derer er sich nie schnell genug entledigen konnte. Es war Zeit, das Kapitel dieser Romanze zu schließen, die in Freude begonnen hatte, dann recht und schlecht weitergegangen war und nun dieses nervtötende Ende nahm wie eine Ehe, aus der alle Luft gewichen war.
Oben schwang Anneliese gerade den Besen in dieser verwahrlosten Wohnung, die so dreckig war, dass Möbel und Böden stellenweise glänzten wie mit Wachs gebohnert. Sie traute sich kaum zu denken. Nachdenken schien ihr ein gefährliches Unterfangen zu sein, und sie hatte nicht das Zeug zur Heldin. Sie versuchte sich selbst zu vergessen, indem sie ihre Rolle herunterspielte und eine Ehegattin als eine antiquierte Maschine betrachtete – als einen originellen Haushaltsroboter mit Beinen, die jedoch beweglicher waren als Rollen – mit der Aufgabe, zu dienen und zu akzeptieren, dass man sich ihrer bediente, die nur den Mund aufmachen durfte, um zu essen und mit schriller Stimme die Bälger zu schimpfen wie die Klingel des aufziehbaren Küchenweckers auf dem Kühlschrank, dessen panisches Geschrei jedes Mal ertönte, wenn sie weiche Eier kochte.
,,Du hast kräftige Arme und keine Flausen im Kopf.“
Anfang September 1986 hatte Fritzl seiner Frau dieses Kompliment nach zwei Monaten guter und treuer Dienste gemacht. Die
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