Claustria (German Edition)
noch gar nicht. Das ist zu kurz, um langfristige Nebenwirkungen festzustellen.“
,,Langfristig sind wir sowieso tot.“
,,Sie sind ein Pessimist, Herr Fritzl!“
,,Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten.“
,,Alt wird man geboren, jung stirbt man.“
Fritzl stieß ein leises, munteres Lachen voller Hoffnung aus.
,,Meinen Sie?“
,,Das hat mein Großvater immer gesagt. Sein Credo hat sich bewahrheitet, er ist erst mit achtundneunzig gestorben.“
Fritzl überlegte, ob sich so ein dummer Satz wohl eines Tages in einer Pille manifestieren könnte wie der Leib Christi in einer Hostie. Mithilfe der Forschung könnte er darauf hoffen, auch noch in hohem Alter steif zu werden wie ein Jüngling. Vielleicht käme bald eine neue Formel auf den Markt, mit der Siebzigjährige all die gelebten, abgelaufenen Jahre, die Etappen auf dem Weg zum Tod, wieder zurückgehen könnten bis in ihre schon lange zu Staub zerfallenen Zwanziger.
In den letzten Jahren hatte der Inzest Fritzl erschöpft. Er konnte sich beileibe nicht mehr vorstellen, dass Angelika seine Tochter war. Die beiden verband eine Art Ehe, sie war sein Weibchen geworden, mit dem das Männchen seit alters her Junge machte. Das Einzige, was sein Verlangen manchmal noch wecken konnte, war ihre Ähnlichkeit mit Annette, der betagten Annette mit den eingefallenen Wangen, die sie am Schluss gehabt hatte, wenn sie sich nicht mehr die Mühe gemacht hatte, ihr Gebiss einzusetzen.
Angelika, ein abscheulicher, gealterter Menschenschatz, eingeschlossen in dieser grauenvollen Höhle mit einem Sesam-öffne-Dich wie bei Ali Baba.
Die Ähnlichkeit von Großmutter und Enkelin war nicht so deutlich, aber Fritzl hatte das Bild seiner Mutter in seiner Erinnerung nach und nach dahingehend verändert, dass es mit Angelikas Gesicht übereinstimmte. Er hatte nur ein altes Foto von Annette, ein zerkratztes Bild auf einer Kennkarte von 1954. Eine Frau mit zerfurchtem Gesicht von ihren Inhaftierungen in Mauthausen, hinter der Brille das Auge, dessen Lid genäht worden war.
Er sah sich wieder als Kind, wenn er auf dem Küchenboden unter ihren Schlägen geweint hatte. Daraus hatte er die Fantasie entwickelt, von Angelika so getreten zu werden, dass er weinte und zum Höhepunkt kam. Daran dachte er oft beim Orgasmus, schämte sich aber, diese Vorstellung auszuleben, ganz abgesehen von der Angst, Angelika könne seine Selbstaufgabe ausnützen, ihn fesseln und ihm nacheinander die Finger abhacken, damit er ihr den Türcode verriet.
Die schlagende Mutter, die begehrte Mutter, die geschlagene, missbrauchte Tochter. In seinem Kopf waren die Personen vertauschbar wie bei einem Vexierbild. In seiner Fantasie war er manchmal Angelikas Sohn und seine Mutter seine Tochter. Das chronologische Paradoxon scherte ihn wenig.
Angelika war zehn Jahre alt, als Anneliese in ihrem Zimmer beim Putzen eine Pornozeitschrift unter dem Kopfpolster fand. Fritzl hatte sie vorsätzlich in einem Sexshop in Salzburg gekauft. Seit seiner schon länger zurückliegenden Haftentlassung hatte er keine große Lust mehr auf Masturbation, doch er spritzte schon bei der Vorstellung des Schocks, den Angelika bekommen würde, wenn sie die Bilder dieser gefesselten, gedemütigten Frauen sah, an denen sich Hengste vergingen, die in ihnen nur Körperöffnungen und geschlagenes Fleisch sahen. Eine Art Entjungferung, die er stellvertretend an ihr vornehmen würde – diese Aussicht erregte ihn wie der Beginn inzestuöser Handlungen.
Anneliese ließ das Heft liegen und lief in ihr Schlafzimmer. Angelika wäre allermindestens schuldig, sich die Bilder angesehen zu haben, so wie vergewaltigte Frauen ihrer Meinung nach selbst an ihrer Situation schuld waren. Außerdem hatte ihre Tochter schon immer so ein keckes Funkeln im Blick gehabt, und Koketterie war bereits der erste Schritt zur Perversion. Ihr Mann hatte sich von diesem sinnlichen Kind bezirzen lassen, hatte dem stummen Ruf des Mädchens nachgegeben.
Am Abend wartete sie, bis Angelika schlief. Dann das Geräusch der sich öffnenden Tür, das blendende Licht der Deckenlampe. Die Zeitschrift war weg.
,,Wo hast du sie hingetan?“
Angelika wurde rot und bekam Ohrfeigen. Die Zeitschrift tauchte zwischen Bettrost und Matratze auf. Später wird Angelika sagen, sie hatte Angst vor dem erigierten Glied auf dem Titelblatt, einem Tier, das sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hatte das Heft weggesteckt, wie um das Tier zu erwürgen.
Im Wohnzimmer stellte Fritzl den Fernseher
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