Claustria (German Edition)
Team schickte. Angelika wurde in Modegeschäften fotografiert, wo sie Sonderangebote erstand und damit die neunzigtausend Euro angriff, die der österreichische Staat ihr als Nachzahlung des Kindergeldes ausgeschüttet hatte, das sie neunzehn Jahre lang nicht bekommen hatte. Der Druck der österreichischen Botschaft auf das Foreign Office war so groß, dass die Bilder niemals veröffentlicht wurden. Man hätte auf den Gedanken kommen können, dass Berta an dieser Indiskretion nicht unbeteiligt gewesen war.
Berta und Anneliese fuhren nach Wien. Dort suchten sie schillernd bunte Stoffe aus – blau, braun, rot, moiriert. Bei der Rückkehr machten sie sich an die Arbeit. Schließlich brachten sie zehn kleine Polster zustande, die aussahen, als hätten sie diese auf dem Jahrmarkt gewonnen, und zwei schmale Matratzen mit blauem Bezug und einer eigenhändigen Stickerei in der Mitte – eine dieser Glocken, die man Kühen zum Schmuck um den Hals hängt. Sie brachten ihr Werk in den Bunker hinunter.
Fritzl hatte sie fast gelobt.
,,Gar nicht so schlecht.“
Am 17. November 1979 besichtigten die Inspektoren des Ministeriums den Bunker. Die Decke war mit einer glatt gestrichenen und abgeschliffenen Schicht Gips verputzt – es sah aus wie Stahlbeton. Genauso die Wände. Die Einrichtungsbemühungen der beiden Frauen verliehen dem Ort einen unwirklichen Hauch von maurischem Salon, den man mit Gewalt in ein Badezimmer gezwängt hatte, wo auch schon ein Kühlschrank und ein Kocher mit Butangasflasche hineinkatapultiert worden waren. Durch dessen Dämpfe hätten die Schutzsuchenden noch weniger Luft bekommen.
Es gab keinen Schrank für Lebensmittel und kontaminiertes Wasser, um den Durst zu löschen. Aber die Explosion hätte die Kanalisation sowieso pulverisiert, und diese Marter wäre ihnen erspart geblieben.
Über der Toilette war ein Gitter, durch das stoßweise Luft kam, hereingedrückt von einer asthmatischen Pumpe. Der Lüftungsschacht endete im Garten unter einer der Thujen an der Straße – bereit, die Becquerel aufzunehmen, um die aus Platzmangel aufrecht stehende Familie besser zu verstrahlen, die diese Gipstasche bis an den Rand füllen und auf das Ende der Katastrophe warten würde.
Als Fritzl den Keller später erweitern sollte, war der Lüftungsmotor schon kaputt, bevor er überhaupt je gelaufen war. Das Loch würde er verschließen und im Schlafzimmer ihres eigenartigen Heims ein neues bohren. Es sollte in einen Schacht führen, der im Heizungskeller endete. Fritzl sollte schnell beschließen, auch dieses Loch zu stopfen, aber wenn Angelika an Tagen mit Wahnvorstellungen hindurchsah, stellte sie sich vor, das Haus und die Stadt zu sehen.
Die beiden Inspektoren befanden den Bunker nach ihrem Geschmack.
,,Sie haben gute Arbeit geleistet, Herr Fritzl.“
Er bedankte sich, wiegte den Kopf hin und her mit dem schmalen Lächeln eines belobigten Kindes, nachdem er festgestellt hatte, dass in seinen Zähnen fleischfarbene Teilchen von den Würstchen steckten, die er zum Mittagessen verzehrt hatte.
Am 1. Dezember überbrachte ihm ein Gendarm die schriftliche Bestätigung, dass dieses Loch nun offiziell unter der Nummer 0089778 als Bunker registriert war, der den Strahlenschutzvorschriften entsprach, festgesetzt vom Bundesministerium für Landesverteidigung.
Nun hatte Fritzl nur noch den Keller im Kopf – ein Loch, das er im Wachen oder im Traum besuchen konnte. Eines Tages würde Angelika ihm gehören, dann würde er sie mitnehmen. Er würde sie in diesen Käfig sperren wie einen Schmetterling, gefangen mit einem dieser bunten Kescher, die er als Kind im Schaufenster des Spielwarengeschäfts von Amstetten immer begafft hatte.
Er würde den Schmetterling begatten, der noch immer versuchen könnte, in der raren Luft mit den Flügeln zu schlagen, die am Boden festgenagelt waren. Kein Schmetterling – seine wiedergefundene Mutter, die er vögeln könnte wie eine Hure, die er im Puff geklaut hat.
Dieser Traum entschlüpfte manchmal seinem Käfig, flatterte in seinem Kopf herum, sauste dann herab wie ein Fäustel und drehte sich erneut in seinem Schädel wie eine Ertrunkene in einem Strudel grauen Wassers.
Wenn Angelika in die Schule ging, beobachtete er sie durchs Fenster. Er hatte Anneliese dazu angehalten, ihr das Tragen von Jeans und Hosen überhaupt zu verbieten. Also ging sie mitten im Winter in einem engen, kurzen Rock aus dem Haus. Einen anderen, der ihr besser passte, hatte Anneliese nicht gefunden, als
Weitere Kostenlose Bücher