Claustria (German Edition)
Sonnenaufgang an diesem Spätherbsttag und hörte die Kinder auf dem Weg zur Schule die Treppe hinuntertrampeln.
Um neun Uhr war die erste Fassung der Pläne für den Atombunker fertig. Über mehrere Monate verbesserte er sie, bevor er sie ans Bundesministerium für Landesverteidigung schickte – das sie abwies.
,,Die Schleuse ist nicht lang genug.“
Fritzl verteidigte seine Pläne, aber die Behörde blieb unbeugsam. Bei einem Schutzkeller, der zu einem Haus gehörte, war eine mindestens zehn Meter lange Eingangsschleuse erforderlich, unterbrochen von fünf Stahltüren, damit so wenig radioaktive Strahlung wie möglich eindringen konnte.
Fritzl konnte sich schlecht vorstellen, Bohrungen im Keller vorzunehmen, um die dreieinhalb Meter zu gewinnen, die ihm für Schleuse und Bunker noch fehlten. Er wollte seine Pläne schon aufgeben. Doch eine Woche später grübelte er betrübt in der dunklen Kammer, in der er davon geträumt hatte, sein Objekt der Begierde gefangen zu halten, und schlug wütend mit der Faust an die Wand. Unter dem Kalkverputz war eine Ziegelwand, die hohl klang.
Am Abend kam er mit einem Fäustel wieder. Beim ersten Hieb gab die Wand nach. Er hielt seine Lampe in das große Loch. In der Nacht riss er die Wand ein. Dahinter lag ein leerer, feuchter Raum, schlammige Tropfen fielen im langsamen Takt einer Wasseruhr von der Decke. Er prüfte die hintere Wand. Hinter dem ersten Raum lag ein weiterer. Mit dem ersten Hammerhieb schlug er ein Loch hinein.
Erschöpft ging er nach oben. Der Tag war schon angebrochen, Anneliese machte den Kindern Frühstück. Er schlief bis nachmittags um drei.
Den restlichen Nachmittag über wühlte er in der alten Hutschachtel mit den Papieren, die seine Mutter als ausreichend amtlich eingestuft hatte, um sie sorgsam aufzubewahren. Ein Wählerausweis von 1949, die Rechnung für einen Mantel, den sie Anfang der Sechzigerjahre gekauft hatte, kurz vor ihrer Gefangenschaft in der Dachkammer, ein Stapel Schulzeugnisse ihres Sohnes, sein Maturazeugnis, drei Goldzähne, die der Zahnarzt ihr gezogen hatte, als er ihren Abdruck genommen hatte, um eine Prothese zu fertigen, und ganz unten der Grundbuchauszug des Hauses sowie die Architektenpläne.
Ein Mann namens Gunther Leiner, von Beruf Lebensmittelhändler, hatte das Haus gebaut. Die Pläne waren gestochen scharf. Fritzl konnte sehen, dass der hintere Teil des Kellergangs genau dort lag, wo er seinen Bunker bauen wollte.
In dem Wust war ein loses Blatt, auf dem das Haus mit einem einfachen Kreuz dargestellt war, das ganze Untergeschoss aber war mit nicht sehr geraden Strichen freihändig skizziert. Neben den beiden Räumen, die Fritzl in der Nacht entdeckt hatte, befanden sich am Ende einer engen Röhre vier kleinere Kammern.
Er begnügte sich mit den ersten beiden Räumen. Wenn er den Gang verlängerte, wäre die erste Kammer lang genug, um eine Schleuse von mehr als den erforderlichen zehn Metern Länge einzurichten. Die zweite Kammer war weniger geräumig, als Gefängnis für seine Tochter aber seiner Ansicht nach groß genug.
Er machte sich an die Arbeit, brach die Reste der beiden noch stehenden Wände ab und warf den Schutt in große Säcke, die peinlich genau nebeneinander standen wie Soldaten beim Appell.
Christof und sein Zwillingsbruder Harald mussten helfen, sie hinaufzutragen und auf die Ladefläche seines Kombis zu stellen, damit er sie auf die Mülldeponie bringen konnte. Zwei schmächtige Buben, die er mit Tritten wieder aufrichtete, wenn sie unter der Last zusammenbrachen.
Er unterbreitete dem Ministerium einen neuen Plan, dem er drei Schwarzweißfotos der Räumlichkeiten beifügte – ich hatte sie auf dem Laptop des Polizeikommandanten gesehen. Dieses Mal erteilte man ihm ohne Vorbehalte die Baugenehmigung für den Bunker, mit der Auflage, das Amt nach Beendigung der Bauarbeiten zu benachrichtigen, damit es Sachverständige schicken konnte, um die Qualität des Baus zu beurteilen. Danach würde der Bunker offiziell verzeichnet und Fritzl die Steuernachlässe zugestanden werden.
Fritzls Beruf fraß die Wochentage, die Geschäftsreisen sabotierten manchmal auch die Wochenenden. Trotz seiner Hartnäckigkeit baute er fast zwei Jahre lang an dem Bunker.
Er begann damit, Material zu besorgen: Ziegelsteine, Gips, Kabel, ein Waschbecken, eine Kloschüssel. Er verbrachte seine ganze Freizeit im Keller bei der Arbeit. Gelegentlich belud er seine Kinder wie Packesel, damit sie die schwersten Lasten
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