Claw Trilogy 01 - Fenrir
spricht zu mir.«
»Was sagt er?«
Aelis bekreuzigte sich noch einmal. »Er sagt, er liebt mich.«
Direkt vor der Kathedrale gab es ein lautes Getöse, die Kampfgeräusche kamen immer näher. Aelis blickte auf. Die Dunkelheit rings um den schwachen Kerzenschein schien zu wabern und zu brodeln wie eine schwarze Flüssigkeit. Etwas prallte so fest gegen die Tür, dass man fürchten musste, sie werde splittern.
»Müssen wir jetzt sterben, Beichtvater?«, fragte Aelis.
»Wenn es Gottes Wille ist«, entgegnete Jehan.
»Dann betet für uns.«
»Nein«, antwortete der Beichtvater. »Wir beten für unsere Feinde, denn sie sollen das Licht Christi in ihren Herzen finden, ehe unsere Soldaten sie töten, damit ihnen der Aufstieg in den Himmel nicht verwehrt werde. Wir dagegen sind gläubig und können größere Hoffnung haben, vor Gott treten zu dürfen.«
Sie stand auf und atmete scharf ein. Für Aelis hatte die Dunkelheit eine neue Qualität bekommen. Sie schien aufgewühlt, sie regte sich und schimmerte wie der Pelz auf dem Rücken eines Wildschweins. Dann nahm der Schatten am Rande des Kerzenscheins eine Gestalt an, bewegte sich und trat ins Licht.
Die Edelfrau keuchte. Wie aus verwobenen Schatten geboren, stand der Wolfsmann vor ihr, aus der Dunkelheit blickte der grinsende Kopf auf sie herab, die bleiche Haut spannte sich über den Knochen und war mit Blut verschmiert.
»Er ist hier«, sagte sie. »Er ist hier!«
»Wer?«
»Der Wolf, der Wolf! Der Teufel ist gekommen!«
Jehan drehte den Kopf hin und her. Er nahm auf der linken Seite einen düsteren Tiergeruch wahr und hörte eine dritte Person atmen. Die junge Frau war verängstigt und konnte gar nicht aufhören zu keuchen.
»Wir tragen die Rüstung Gottes, Satan. Du kannst uns nichts zuleide tun«, erklärte der Mönch. Seine Stimme klang ruhig und gefasst, beinahe gelangweilt, als spräche ein Lehrer mit einem aufsässigen Kind.
» Domina «, sagte der Wolfsmann. Er stieß das Wort hervor, als sei es ihm in der Kehle stecken geblieben. Kehlig und fremd klang sein Akzent. » Domina. « Aelis riss sich zusammen und dachte nach. Seit ihrer Kindheit hatte sie Latein gelernt, und doch vermochte sie dieses einfache Wort nicht zu verstehen. Der Mönch dagegen zeigte keine Furcht.
»Rufe nicht die Edelfrau, Teufel. Nur mit mir hast du zu schaffen.« Auch der Beichtvater sprach Latein.
Der Wolfsmann achtete nicht auf ihn.
» Domina. Mein Name ist Sindre, genannt Myrkyrulf, und ich bin hier, um dich zu beschützen.«
Endlich brachte Aelis einige lateinische Worte hervor. »Wovor denn?«
»Vor dem da.« In diesem Moment flog die Kirchentür auf.
3
Der Tod und der Rabe
S päter konnte Aelis sich nur an die ersten Augenblicke des Angriffs erinnern. Sie hatte einen Blitz oder eine Art Flammenbogen wahrgenommen, als hätte die Sichel des Blutmondes die Dunkelheit zerteilt. Erst danach hatte sie begriffen, dass es das Schwert dieses grässlichen Geschöpfs gewesen war. Die brennenden Gebäude hinter der Kirche hatten sich auf der Klinge gespiegelt. Einen Moment lang hatte der Stahl gezuckt wie ein lebendiges Wesen, ehe er aus dem Licht heraus in die Dunkelheit geführt wurde und aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn verschwand.
Eine derart gekrümmte Klinge hatte sie noch nie gesehen. Die Waffe war der Inbegriff des Mordens, eine grausame Mondsichel. Und dann dieses Wort, das klang wie eine Kralle, welche die Dunkelheit zerfetzte.
»Hrafn!« Der Wolfsmann stieß es hervor, und auch wenn sie die Bedeutung nicht verstand, so weckte es doch etwas in ihr und brachte Bilder, Gerüche und Klänge zum Vorschein. Sie sah ein weites Schlachtfeld voller gefallener Krieger, zerrissene Banner flatterten im Wind. Anfangs dachte sie, die Luft sei von Rauch geschwängert, doch als sie das Geräusch hörte, begriff sie es. Es war kein Rauch, sondern dort summten unzählige Fliegen. Der Wolf befand sich auf der Ebene. Sehen konnte sie ihn nicht, obwohl sie seine Gegenwart spürte. Ein hitziges, schnaufendes, grunzendes Untier am Rande des Gesichtsfeldes. Sie brachte es nicht über sich, sich umzudrehen und es voll anzublicken.
Blinzelnd richtete sie sich auf, schüttelte den Kopf und zwang die Wirklichkeit, zu ihr zurückzukehren. Mit einer Hand stützte sie sich an einer Säule ab. Die Vision war so klar gewesen und so rasch über sie gekommen, dass sie fürchtete, sie werde gleich den Verstand verlieren.
Auf einmal tobte die Schlacht auch in der Kirche. Die Männer
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