Claw Trilogy 01 - Fenrir
erfrorenen Arsch.
Die alte Römerstraße nach Lyon war gut erhalten, aber voller Gefahren. Wenn sie Reisenden begegneten, erklärte er ihnen, die Nordmänner seien Konvertiten, die ihn auf einer Pilgerschaft nach Rom beschützten. Die Elf bewiesen ihren Wert. Banditen lungerten an der Straße herum, etwa vierzig versperrten ihnen in der Nähe von Auxerre den Weg. Sie hatten zu große Angst, um anzugreifen, prüften aber den Mut der Nordmänner. Deren Mut war völlig in Ordnung, denn die Banditen stoben davon, sobald Ofaeti seinen Männern zurief, sie sollten angreifen. Diese Wegelagerer waren angenehmere Gegner als eine Truppe gut bewaffneter und schlachterprobter Nordmänner. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Allerdings war Jehans ganze Überredungskunst gefragt, um eine hundert Köpfe starke Gruppe von Händlern davon abzuhalten, die Nordmänner anzugreifen. Als sie die Saône erreichten, die in die richtige Richtung floss, folgten sie dem breiten Fluss nach Süden.
Sie kauerten sich auf einen gestohlenen Flusskahn – eigentlich kaum mehr als ein Floß – , wickelten sich in die dicken Mäntel und reisten vor allem bei Nacht, wenn der Mond es erlaubte. So fielen die Nordmänner nicht ganz so sehr auf wie auf der offenen Straße. Die Abteien, die sie passierten, wirkten arm und schäbig, und die Wikinger glaubten Jehan, dass man dort nicht viel erwarten konnte. Sie machten nicht einmal von den Wirtshäusern für die Pilger Gebrauch, welche die Abteien für fromme wie weltliche Reisende unterhielten, denn sie fragten sich mit Recht, wie man sie dort wohl aufnehmen würde. Die menschlichen Gebeine trugen sie in einem Sack, den sie wegen des Gestanks auf einem primitiven Floß oder ein paar Ästen mitschleppten. Jehan musste die geschickte Zimmermannsarbeit der Wikinger bewundern. Sie hatten das kleine Floß im Handumdrehen gebaut, und selbst er, der er die meiste Zeit in einem Kloster gelebt hatte, erkannte sofort, dass es besser gefertigt war als das Ding, das sie am Flussufer gestohlen hatten.
Die Wikinger gaben ihm nichts zu essen, doch er war sowieso nicht hungrig. Bisweilen trank er aus dem Fluss und hatte das Gefühl, nichts weiter an Nahrung zu brauchen. Er war sicher, dass dies ein Teil des göttlichen Segens war, der ihn auch von seinem Gebrechen geheilt hatte. Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Ja, es schien wirklich so, als habe ihn der Heilige Geist erfüllt. Manchmal regnete es so stark, dass die Tropfen auf der Haut fast wehtaten, doch ihm war nicht kalt, und er legte den Kopf in den Nacken, um das Wasser zu trinken, sich an dem Geschmack zu erfreuen und die beweglichen, starken Glieder zu spüren.
Ja, er war ganz sicher, dass er gesegnet war. Die Prüfungen, die er durchlitten hatte, die Folterungen durch den Raben und Saerda, all das war ein Tor der Schmerzen gewesen, durch welches er sich Gott genähert hatte. Wohl wahr, er hatte unreines Fleisch verzehrt, aber das kam ihm inzwischen gar nicht mehr so schlimm vor. Die Erinnerung an den Geschmack des Bluts ließ ihm freilich keine Ruhe. Er hatte ihn keineswegs unangenehm gefunden. Das war für sich genommen schon eine Botschaft, dachte er sich. Gott ließ ihn wissen, dass er sich keine Sorgen wegen etwas machen musste, das ihm aufgezwungen worden war. Er sollte nicht weiter hinterfragen, was ihm widerfahren war. Die Befreiung von den Fesseln seiner Krankheit diente einem bestimmten Zweck. Instinktiv wusste er, dass er vor allem beten und Gottes Willen ergründen musste.
Wenn Jehan betete, tat er es nicht wie die Weber, Schlächter, Kerzenzieher und Adligen in Paris. Er bat nicht um Hilfe, sprach keine Dankesworte und führte keine stumme Unterhaltung. Jehan hatte viele Jahre mit Gott als wichtigstem Gefährten verbracht und dessen Anwesenheit in der Dunkelheit seiner Zelle gespürt. Gott war der Leitstern gewesen, der jeden Gedanken in die richtige Bahn gelenkt hatte. Gebete waren ein unverzichtbarer Teil seines Lebens. In gewisser Weise stellte sogar sein ganzes Leben ein einziges Gebet dar, denn jede Tat und jeder Happen Essen versetzte ihn in die Lage, Gott zu dienen. So saß er im Dunklen und in der Kälte auf dem Floß, das die Wikinger unter dem schwarzen Himmel steuerten, versenkte sich in sich selbst, gab seinen eigenen Willen auf, sah von der eigenen Person ab und ordnete sich allein Gott unter.
»Zeige mir deinen Willen, o Herr.« Das
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