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Claw Trilogy 01 - Fenrir

Claw Trilogy 01 - Fenrir

Titel: Claw Trilogy 01 - Fenrir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M D Lachlan
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Schaukeln des Floßes lullte ihn ein, die Kälte schien von ihm zu weichen. Er stürzte durch das Gestrüpp seiner eigenen Gedanken und fuhr auf, als er noch einmal den schockierenden Augenblick durchlebte, in dem er die Kraft und die Freiheit seiner Gliedmaßen zurückgewonnen hatte. Krankheit und Beschränkung waren ihm so vertraut geworden, dass er das Gefühl, sich ungehindert bewegen zu können, zunächst als sehr verstörend empfunden hatte.
    Im Gebet fühlte er wieder Saerdas Kopf in den Händen. Den raschen Ruck, mit dem er dem Wikinger das Genick gebrochen hatte, spielte er immer wieder im Geiste durch. Sonst hatte er an diesen Moment keine Erinnerung, wenn er davon absah, dass etwas zugegen gewesen war, das er noch nie zuvor gespürt hatte. Eine Art Zeichen, so fühlte es sich an. Er war versucht zu sagen, es sei das Böse gewesen, aber das traf nicht ganz zu. Nein, diese unsichtbare Erscheinung, die ihn beobachtet hatte, folgte überhaupt keiner Moral. Er überlegte, welches Wort diesen Eindruck am besten zusammenfasste. »Hungrig«, das war es.
    Das Schaukeln des Floßes war nicht mehr von der inneren Bewegung in der Begegnung mit Gott zu unterscheiden. Die Worte des einundfünfzigsten Psalms kamen ihm in den Sinn. Er kannte die Zeilen gut, die Miserere genannt wurden. Die Erinnerung an seine Mönchsbrüder, wie sie die Verse sangen, erwachte in ihm. Ein rhythmischer Singsang, der so beruhigend war wie das Schwappen des Wassers am Flussufer. Die Schönheit der lateinischen Worte trug ihn fort, aber drei Zeilen sprach er lautlos in einfachem Romanisch:
    Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
    Ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren.
    Errette mich von Blutschuld, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme.
    Die Blutschuld, die Blutschuld. Schon wieder hatte er den Geschmack von dem Fleisch im Mund, das ihm über die Lippen gezwungen worden war. Er roch es auch. Es kam von dem kleinen Floß, das an ihrem hing. Blut und Verwesung, Aas und noch etwas anderes. Was war das für ein Geruch? Es war der Leib Bruder Abrams, das war ihm klar, aber so einen Geruch hatte er noch nie in den Straßen von Paris oder bei den unzähligen Gelegenheiten bemerkt, wenn man ihn zu den Kranken, Sterbenden und Toten gerufen hatte. Es war höchst beunruhigend. Den starken, durchdringenden Geruch empfand er beinahe als angenehm. Nun bemerkte er auch, wie hungrig er war. Sehr hungrig sogar, aber zugleich war ihm die Vorstellung, etwas zu essen, auch zuwider. Nur die feinen Gerüche der Verwesung, die von den Überresten des Mönchs auf dem kleinen Floß ausgingen, fand er verlockend.
    Seine Gedanken irrten ab, und ihm fiel ein Gedicht ein, das er in seinen Qualen gehört hatte.
    Bruder streckt den Bruder nieder,
    Beilzeit, Schwertzeit, Schilde splittern
    Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.
    Verschonen soll kein Mann den anderen …
    Er konzentrierte sich wieder auf das Gebet. Er musste sich ganz versenken, durfte nichts mehr hören außer den Worten im Kopf. Zugleich musste er sich ganz hingeben und jeden gewöhnlichen Gedanken abschütteln, damit Gott zu ihm sprechen konnte. Warum bin ich auserwählt, o Herr? Was verlangst du von mir?
    Die knospenden Bäume am Flussufer streckten die Arme wie im Bittgesuch gen Himmel, als flehten auch sie Gott um eine Antwort an.
    Am Ufer bewegte sich etwas, ein heller Fleck.
    Jehan spähte in die Dunkelheit. Keine zwanzig Schritte entfernt beobachtete jemand ihr Boot. Zuerst dachte Jehan, es sei ein Kind, doch als das Floß sich ihm näherte, bemerkte er etwas sehr Seltsames. Es war ein Mädchen, dachte er, oder vielmehr eine Frau. Sie war arm und hatte sich nur in eine grobe Decke aus schmutziger Wolle gehüllt. Vor allem erregte das Gesicht seine Aufmerksamkeit. Es gehörte keineswegs einem Kind, war aber auch noch nicht ganz erwachsen zu nennen. Eigentlich war sie nicht jung und nicht alt, aber schrecklich ausgemergelt, bleich und verwahrlost. Die Augen brannten voller Hass. Jehan nahm an, dass sie am Verhungern war, aber so nahe an einem Fluss, wo man fischen konnte, musste eigentlich niemand verhungern.
    »Siehst du das?« Jehan deutete auf die Gestalt.
    »Was denn?«
    »Das Kind am Ufer.«
    »Ich sehe nichts«, sagte Fastarr. »Versuch ja keine Hinterlist, Mönch. Du wirst schnell herausfinden, dass ein paar von uns so etwas gar nicht mögen.«
    Jehan

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