Claw Trilogy 01 - Fenrir
wollte nicht glauben, dass der Wikinger nichts erkennen konnte, doch als er sich wieder umdrehte, war das Kind verschwunden. Er konzentrierte sich erneut auf die Gebete und schob den Gedanken zur Seite. Doch das Gesicht kehrte immer wieder vor sein inneres Auge zurück. Dieses Gesicht eines Kindes, das für sein junges Alter zu viel Leid gesehen hatte. Dieses Gesicht, das ihn unverwandt anstarrte und in dem er nichts als Feindseligkeit erkennen konnte.
Das Boot näherte sich einer Flussbiegung, wo auf einem breiten, flachen Strand zwei Hütten standen. Ein großes Holzkreuz markierte den Beginn der Straße nach Mont Joux. Von dort aus konnte man weiter nach Italien und nach Rom reisen.
»Ist es hier, Mönch?«, fragte der dicke Ofaeti.
»Hier ist es«, erklärte Jehan. »Ihr werdet warten, während ich spreche.«
»Das ist ein kühner Sklave, der seinen Herren Befehle gibt«, erwiderte Ofaeti.
Der Beichtvater sah den dicken Wikinger scharf an. »Ihr seid hier in meinem Land, und alles, was ihr träumt und alles, was ihr seid, hängt von mir ab. Wenn ihr überleben wollt, müsst ihr tun, was ich sage.«
»Du hast geschworen, uns zu dienen.«
»Das werde ich auch tun«, beruhigte Jehan ihn. »Ihr braucht mich jetzt, lasst euch nicht von eurem Stolz blenden. Ich diene auch am besten, indem ich euch führe. Als Erstes werdet ihr hier ein paar Decken und wenn möglich ein oder zwei Zelte kaufen. Die Bauern in der Nähe haben sicherlich etwas Passendes. Wenn ihr in den Bergen keinen Schutz habt, werdet ihr erfrieren.«
Ofaeti betrachtete den Beichtvater und nickte. Dann wandte er sich an Fastarr. »Diese Mönche sind rotzfrech, aber der Mann hat recht. Er soll für uns sprechen, solange es uns nützlich ist.«
Die Einwohner starrten sie an, doch der Fischer am Ufer war viel zu sehr um die Sicherheit seiner Familie besorgt, um den Nordmännern neugierige Fragen zu stellen. Abermals erklärte Jehan, die Krieger seien seine Leibwächter, die er angeheuert habe, damit sie ihn auf der Pilgerschaft nach Rom beschützten. Der Fischer nickte den Wikingern zu und sagte etwas in der Art, man könne doch Gott danken, wenn man solche Männer zu kaufen vermochte, denn sonst läge bald das ganze Land in Trümmern. Schließlich nahm er ihr Geld und schickte seinen Jungen los, Decken und zwei kleine Zelte zu beschaffen.
Als der Bursche zurückgekehrt war, machten sich die Berserker sofort auf den Weg. Jehan übernahm die Führung. Nun ging es in die eisigen Berge und in das Tal des schwarzen Heiligen hinauf.
35
Das Tal des schwarzen Heiligen
D er Weg bergan war beschwerlich. Es graupelte, schließlich schneite es sogar. Der winterliche Schnee war geschmolzen, und nun bedeckte Neuschnee die kalte grüne Landschaft. Auf den unteren Hängen blieb er nicht lange liegen. Weiter oben bekamen die Berge weiße Kleider.
Sie umrundeten einen großen See, an dem zahlreiche Siedlungen lagen. Dort hielten sie nicht an, doch Jehan schnitt einen Stecken ab und machte sich daraus ein Kreuz, das er vor sich trug. Auf diesem Weg waren viele Pilger unterwegs, wenngleich nicht unbedingt zu dieser Jahreszeit, und die Einheimischen waren nicht sonderlich beunruhigt. Die Wikinger bliesen in ihre Hörner und vertrauten auf ihr Glück. Niemand griff sie an, und sie konnten sogar ein wenig Brot kaufen. Jehan übernahm das Reden, während die Nordmänner schwiegen. Auf den Rat der Einheimischen beluden sie die Maultiere mit Feuerholz. Der Weg in die Berge war kalt, und wenn sie dort lagerten, mussten sie sich wärmen.
Den toten Bruder schleppten sie auf einem grob gezimmerten Schlitten mit. Die Nordmänner fanden den Verwesungsgeruch unerträglich, nur Jehan war nicht unangenehm berührt.
»Wir sollten das Fleisch abkochen«, schlug Egil vor.
»Und wo ist der Topf, der dafür groß genug ist?«, wandte Ofaeti ein.
»Dann verbrennen wir ihn«, überlegte Egil. »He, Mönch, ist ein gekochter Heiliger so gut wie ein roher?«
Jehan schwieg dazu.
Als sie auf dem Pass nach Süden abbogen, setzte starker Schneefall ein. Der Fluss, dem sie folgten, trug sogar eine Eisdecke. Die Berserker kamen aus dem Norden und waren für dieses Wetter richtig gekleidet, aber sie mussten den ganzen Tag in Bewegung bleiben, um die Kälte in Schach zu halten. Die Nächte waren dank des Feuers erträglich, aber keineswegs angenehm. Abgesehen von ein paar Fischen, die die Wikinger im Fluss fingen, und dem Brot, das sie gekauft hatten, gab es nichts zu
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