Claw Trilogy 01 - Fenrir
und die Menschen, die Schätze von Silber und Gold – , aber jedes Mal, wenn er den Blick abwandte, schien der Haufen zu schrumpfen und nach noch mehr Leichen und noch mehr Edelsteinen zu verlangen, damit er wieder die richtige Größe bekam. Träume haben ein eigenes Gespür für Richtig und Falsch, und nun schien es Helgi, dass ein Haufen von Leichen nur wirklich befriedigend sei, wenn er einen Schatten warf, der den Bergen ebenbürtig war.
In seinem Traum stand Sváva vor ihm, ein bleiches Kind in einem schmutzigen Hemd.
Sie sprach: »Es ist besser, gar nicht zu beten, als zu viel zu opfern. Ein Geschenk verlangt immer das nächste.«
Hatte er zu viele getötet, war er bei seinen Kriegen zu gierig gewesen, hatte er den Göttern zu viele Sklaven gegeben? Was wollten sie nur von ihm?
»Meine Liebe«, sagte er, »ich habe nicht damit gerechnet, dass er dich verlangen könnte. Ich dachte nicht, dass der Gott dich nehmen würde.«
Sváva hob die Hand, die sie in die Hüfte gestemmt hatte. Es war eine beinahe geringschätzige Geste.
Ringsherum sangen und summten seltsame Symbole in der Luft. Er zählte sie. Es waren acht. Er lag nassgeschwitzt im Bett und konnte nicht aufstehen. Es war, als drückte ihn ein mächtiges Gewicht nieder, so dass er kaum die Brust beim Atmen heben konnte.
Irgendetwas kroch ihm wie eine Schlange über die Haut. Eine Rune, ein einzelner aufrechter Stab mit zwei anderen, die schräg von ihm abzweigten. Die Erscheinung knarrte und stöhnte wie das Seil auf einem Schiff. Wie ein straff gespanntes Seil, an dem ein toter Mann hing. Er kannte den Namen. Ansuz. Als sie sich auf seinem Gesicht wand, hob er die Hand, um sie zu berühren. Da sah er sie als Galgen, schwarze Striche auf dem Hügel vor einer zornigen Dämmerung. Zeilen aus Gedichten fuhren ihm kreischend durch den Kopf wie geschleuderte Speere. Er sah einen Reiter über eine Ebene eilen, ein Mädchen unter einem metallenen Mond im Garten, einen Brunnen und daneben die enthauptete Leiche eines Mannes. Mimirs Brunnen, der Brunnen der Prophezeiung. Dies war kein gewöhnlicher Traum. Es war eine Mitteilung von den Göttern.
Die Reime klapperten in seinem Kopf wie Kiesel auf einer Treppe, die Runen umringten ihn singend und riefen ihm zu, er solle sie in sich aufnehmen.
Weißt du zu ritzen? Weißt du zu erraten?
Weißt du zu finden? Weißt zu erforschen?
Weißt du zu bitten? Weißt Opfer zu bieten?
Weißt du wie man senden, weißt wie man tilgen soll?
Er betrachtete die Rune, die dem Galgen glich, dieses knarrende, sich windende Ding auf der Haut und in seinen Gedanken. Die Rune legte sich um ihn und würgte ihn, trieb ihm den Atem aus dem Leib. Die Kehle wurde ihm eng, und sein ganzes Gewicht und sein Bewusstsein hingen an seinem Hals. Er wusste, wem die Rune gehörte. Odin. Odin der Verräterische, Odin der Vernichter, der Herr der verbrannten Erde.
»Dieses Zeichen bedeutet etwas«, erklärte Sváva. »Allerdings ist es nicht das, was es zu sein scheint. Dies ist die Rune des Täuschers. Deine Rune, denn du hast mich getäuscht.«
»Sváva, ich wusste es nicht.«
Er streckte die Hände zu seiner Tochter aus, konnte sie aber nicht berühren. Er konnte sich nicht einmal aufsetzen, so sehr er sich auch bemühte.
»Ich habe deine Prophezeiung, Vater. Die Weissagung, die dir der Gott versprochen hat.«
»Sváva, Sváva!«
Das bleiche Kind blickte auf ihn hinab. »Wenn aus dreien eins wird, dann kommt die Rabenfrau«, sagte sie. »Finde sie und gewähre ihr den Schutz der Finsternis.«
Damit drehte Sváva sich um und verschwand in der Dunkelheit. Endlich fiel Helgi in den Schlaf.
34
Eine Heimsuchung
A ls Jehan nach Osten zog, fiel unablässig der Regen, verwandelte die Felder in Sümpfe und die Handelswege in Moore. Die Seine führte Hochwasser, und die Strömung wäre zu stark gewesen, um gegen sie anzurudern, selbst wenn die Wikinger ein anständiges Boot gefunden hätten. Nachts konnten sie wegen der dichten Wolkendecke keine Sterne sehen. Wenn sie Flussgabelungen erreichten, konnten sie die Richtung nur raten oder mussten auf den Tag warten und sich an die Sonne halten. Da die Wikinger als Räuber galten, riet Jehan Fastarr, den prächtigen Schild mit dem Hammer zu verstecken und auf die schlichteren Schilde das Zeichen des Kreuzes zu malen. Die Berserker ließen sich darauf ein, weigerten sich jedoch, nach der Art der Franken ihre Mäntel zu kürzen. Ofaeti sagte, er wolle lieber durch einen Speer sterben als an einem
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