Cleo
und umgebracht, weil man glaubte, sie seien von Hexen besessen. Während des sechzehnten Jahrhunderts vergnügten sich die Pariser auf Ausflügen mit Massenverbrennungen von Katzen, die man in Säcke gesteckt hatte. Selbst heute noch werden neugeborene Katzen in Säcke gesteckt und ersäuft. Katzen jeden Alters werden bei Experimenten für den sogenannten medizinischen Fortschrittgequält. In manchen Teilen Asiens glaubt man, dass Frauen eines bestimmten Alters aus gesundheitlichen Gründen Katzenfleisch essen sollten.
Der Mensch hat so viel Leid über die Hauskatze gebracht, dass es erstaunlich ist, dass sie nicht einen weiten Bogen um uns machen. Katzen mögen die Grausamkeiten, die man ihnen angetan hat, vielleicht nicht vergessen. Aber jede nachfolgende Generation verzeiht uns aufs Neue. Jeder Wurf mit hilflosen miauenden Kätzchen ist ein Angebot, noch einmal neu anzufangen, es besser zu machen. Obwohl unser bisheriges Verhalten zur Genüge offenbart hat, zu welchen Abscheulichkeiten wir imstande sind, erwarten die Katzen nach wie vor Gutes von uns. Wir werden uns erst dann für wirklich kultiviert halten dürfen, wenn wir dem Ausdruck des Vertrauens und der Hoffnung in den Augen einer kleinen Katze gerecht werden.
Ich musste noch immer an die Autofahrerin denken, die vor so vielen Jahren Sam überfahren hatte. Früher hatte mich der Gedanke an sie wie ein Gespenst verfolgt. Meine Wut auf sie hatte wie ein Flächenbrand in mir getobt. Wenn ich damals in der Zeitung einen Bericht über irgendwelche Eltern las, die dem Mörder ihres Kindes vergeben hatten, war ich sicher, dass sie sich selbst belogen.
Die Zeit heilt vielleicht nicht alle Wunden, aber sie lässt die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Vor Jahren kamen Ford Escorts aus der Mode. Man sah nur noch selten welche, blaue erst recht nicht. Das Auto, das Sam überfahren hatte, war mittlerweile vielleicht ein Aschenbecher. Die Fords hatten Geländewagen Platz gemacht, und ich hatte endlich akzeptiert, dass Sams Tragödie auch die der Fahrerin war. Dieser Januartag des Jahres 1983 hatte womöglichebenso tiefe Spuren in ihrem Herzen hinterlassen wie in meinem. Jedes Mal, wenn sie hinterm Lenkrad Platz nahm oder einen blonden Jungen über die Straße laufen sah, musste sie ihn wieder vor sich sehen.
Nach all der Zeit fühlte ich mich endlich imstande, dieser Frau zu begegnen, so sich jemals die Gelegenheit dazu ergeben sollte. Ich hatte sogar versucht, ihr ein Zeichen zu geben. In einem Interview für eine Zeitschrift hatte ich erklärt, ich sei bereit zu einem Gespräch. Ich wollte meine Arme um sie legen, den Schmerz anerkennen, den sie all die Jahre empfunden haben musste, und ihr sagen, dass ich ihr vergeben hatte. Ohne Wenn und Aber.
Auf dieses Interview hin erhielt ich einen Brief, wenn es auch nicht der war, den ich erwartet hatte.
Liebe Helen,
meine Frau zeigte mir den kürzlich erschienenen Artikel über Sie und drängte mich, Ihnen zu schreiben. Es hat uns sehr betroffen gemacht, als wir lasen, welch schwere Zeit sie nach Sams Tod durchmachen mussten.
Ich weiß nicht, ob es ein Trost für Sie ist, aber ich kam kurz nach dem Unfall an die Unfallstelle. Die Fahrerin des Wagens war nicht da und ich nahm an, dass sie Hilfe holen gegangen war. Mein Kollege lief die Straße hinunter, um den Verkehr aufzuhalten, und ich blieb bei Sam – er war ohne Bewusstsein und ich bin überzeugt, dass er nicht leiden musste. Ich bin überzeugt, dass er starb, während ich bei ihm war, also noch bevor die Polizei und die Sanitäter eintrafen, die übrigens alle sehr mitfühlend und rücksichtsvoll waren.
Als die Polizei sagte, dass wir nicht mehr gebraucht würden, fuhren mein Kollege und ich weg. Ich war so mitgenommen von dem Geschehen, dass ich kaum ein Wort herausbrachte,als ich an diesem Abend nach Hause kam. Was für eine grauenvolle Verschwendung der Tod dieses kleinen Jungen doch war – auch wenn es keinen Schuldigen in dem Sinne gab.
Ich habe damals hin und her überlegt, ob ich Sie anrufen soll, entschied mich dann aber dagegen, da ich ein Fremder für Sie war und Ihnen nicht zu nahe treten wollte. Ich weiß bis heute nicht, ob es richtig war. Dieser Artikel lässt mich jedenfalls glauben, dass es Ihnen etwas bedeutet, wenn Sie wissen, dass Sam nicht allein war – daher mein Brief, und wenn ich Sie damit auch nur ein klein wenig trösten kann, dann würde mich das sehr freuen.
Mit herzlichen Grüßen
Arthur Judson,
Weitere Kostenlose Bücher