Cleo

den Fugen«. Andere Besucher wirkten wütend – unter ihnen ein Arzt, der erklärte, er habe den Unfall mit eigenen Augen gesehen.Er fühle sich persönlich getroffen, sagte er. Er habe selbst zwei Söhne. Seine Wut interessierte mich überhaupt nicht. Ärzte schienen über sich hinauszuwachsen, wenn es darum ging, dumme Sprüche abzusondern.
    Dann gab es Besucher (vor allem Frauen), die behaupteten, sie würden ähnliche Qualen durchmachen. Mit Tränen in den Augen sahen sie mich an und erwarteten Trost. Sie verstiegen sich zu den schlimmsten Taktlosigkeiten: »Ich würde so etwas nicht überleben.« »Wenigstens hat Rob jetzt die Chance, aus dem Schatten seines Bruders zu treten und zu einer eigenständigen Person zu werden.« In meinen Augen waren sie nur an sich selbst interessiert, vielleicht sogar verrückt, auch wenn ich mich nicht mehr imstande fühlte, einzuschätzen, wann die Grenze zum Wahnsinn überschritten war.
    Ich war nur mehr ein verzerrter Schatten meiner selbst, eine hysterische Irre, die ihnen am liebsten kreischend in die blassen Gesichter mit den bebenden Lippen gelacht hätte. Als sie sagten, es wäre ihnen »genauso ergangen«, als ihr Vater/Hund/Onkel starb, hätte ich sie schlagen können. Wie konnte der vorhersehbare Tod eines alten Menschen mit dem Tod eines Kindes verglichen werden?
    Wieder andere blickten schweigend und mit finsterer Miene aus dem Fenster zum Hafen hinunter. Die Bucht schimmerte absurd türkis, gleichgültig gegenüber menschlichem Leid. Ich fand im Anblick dieser kalt glitzernden Schönheit keinen Trost.
    Phil Whaanga, ein Maori-Freund von der Journalistenschule, stand auf einmal unangekündigt vor der Tür und umarmte mich, mehr nicht. Wir hatten uns nie besonders nahegestanden, aber in dieser Umarmung lag mehr Trost als in den unzähligen Worten, die ich mir hatte anhören müssen.Phil stammte aus einer Kultur, die weniger Angst vor dem Tod hatte, und meinte nicht, sich über die Widersinnigkeit des Schicksals auslassen zu müssen. Dafür war ich ihm dankbar.
    Die meiste Zeit aber saß ich auf dem Sofa und strich über die Narbe an der Stelle, wo ich mir beim Backen von Sams Geburtstagskuchen die Hand verbrannt hatte. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass die Narbe noch da war und er nicht.
    Die fehlende Badezimmertür machte die Situation nicht besser. Wie unser Herz lag auch das Badezimmer offen da und war den Blicken preisgegeben. Weder unsere Trauergäste noch wir konnten uns ungestört auf das Klo zurückziehen. Steve nagelte zwar einen windigen Duschvorhang mit Blumenmuster an den Türrahmen, aber der war viel zu kurz, um den jeweiligen Benutzer des Bades weiter als bis zu den Knien zu verdecken. Mir war nie klar gewesen, was für ein wichtiges, edles Möbelstück eine Tür sein konnte. Aber es gab eine Menge Dinge, über deren Bedeutung ich mir nicht klar gewesen war.
     
    Einige Tage nach der Beerdigung sagte ich meiner Mutter, dass es wieder ginge. Sie nickte skeptisch und kletterte in ihren kleinen Kombi. Steves Mutter rief von England aus an. Ich seufzte nur, als ich hörte, dass sie einem Auftritt des berühmten Mediums Doris Stokes beigewohnt hätte. Das fehlte uns gerade noch. Doris Stokes hatte sie offenbar auf die Bühne geholt und erklärt, sie habe eine Botschaft von Sam. Sam ließe uns ausrichten, so Doris, es ginge ihm gut. Ich nickte ungeduldig, als Steve mir davon berichtete. So etwas erzählte doch jedes Medium. Doris beschrieb dann die merkwürdige Anstalt, in der sich Sam nun befand. Wieein Internat, nur viel lustiger. Ich wollte gerade einen hämischen Kommentar zu englischen Medien und ihrer Neigung abgeben, vorm inneren Auge ihrer Zuhörer Bilder entstehen zu lassen, in denen Pubs, Teestuben und andere typisch britische Institutionen vorkamen, als Steve noch etwas hinzufügte. Seine Mutter erklärte, sie habe keine Ahnung, was Doris gemeint haben könnte, aber vielleicht würden wir es ja verstehen. Sam habe gesagt, es sei in Ordnung. Rob könne die Uhr behalten.

 
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    Der E indringling
    Eine Katze kommt nicht, wenn sie eingeladen wird.
    Sie taucht auf, wenn sie gebraucht wird.
     
    Für immer. Sam war für immer weg. Wie lange dauerte das? War das die Unendlichkeit? Das Zeichen für Unendlichkeit war eine Schleife. Wenn ich lange genug an einer universellen Bushaltestelle wartete, würde Sam dann irgendwann vorbeikommen und zu mir zurückkehren?
    Nie mehr. Ich würde ihn nie mehr wiedersehen. Zumindest solange ich nicht an den