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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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widersetzten sich. Ich hatte mich in ein brüllendes Tier verwandelt. Es dauerte vielleicht zwanzig Minuten, bis Steve und Rob bei Jessie auftauchten. Sie kamen mir vor wie zwanzig Jahre.
    Als sie dann da waren, sahen sie aus wie zwei Gespenster, ein trauriger Mann, vornübergebeugt, als hätte er einen Bauchschuss erhalten, an der Hand ein traumatisiertes Kind. Eine ähnliche Körpersprache konnte man auf Fotos von Flüchtlingen und Kriegsopfern sehen. Steves Gesicht war völlig ausdruckslos und starr, sein Blick leer wie der einer Marmorstatue. Rob schien sich gänzlich in sich selbst zurückgezogen zu haben. Ich sah in das teilnahmslose Gesicht des Jungen. Dann ging ich in die Knie und nahm den Sohn, der uns geblieben war, in die Arme, fragte mich, welche grauenvollen Bilder er gerade im Kopf hatte. Er hatte miterlebt, wie sein Bruder überfahren worden war und starb. Wie sollte er jemals darüber hinwegkommen?
    Schluchzend umklammerte ich meinen Sohn. Ich zitterte. Es musste Rob Angst gemacht haben, mit welcher Kraft ich ihn festhielt. Er wand sich aus meiner Umarmung. Ich versuchte mich zusammenzureißen und fragte ihn, was geschehen sei. Er erzählte, dass er versucht habe, Sam vom Überqueren der Straße abzuhalten, um auf dem Gehweg zu warten, bis der Bus weitergefahren war, aber Sam habe nicht auf ihn hören wollen. Seine letzten Worte zu Rob waren: »Sei still.«
    Rob sagte, Sam habe wie ein Cowboy ausgesehen, als er da so auf der Straße lag und ein roter Faden aus seinem Mund hing. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was er mit dem roten Faden meinte. Sein junger Verstand hatte das alles als Szene eines Western interpretiert. Sam war zu John Wayne geworden, der nach einer Schießerei auf dem Rücken lag und dem Theaterschminke übers Kinn lief. In diesem Moment begriff ich, wie anders ein Kind den Tod wahrnahm.
    Als wir wie betäubt zum Auto stolperten, fragte Rob, ob er Sams Superman-Uhr haben könnte. Im ersten Moment war ich schockiert, sagte mir dann aber, dass er erst sechs Jahre alt war.
    Die Straße entrollte sich vor uns wie ein langes schwarzes Band. Häuser schoben sich in verzerrten Winkeln vorbei. Ich hasste diese Stadt mit ihren Hügeln und gewundenen Straßen. Alles war hässlich und grob, kurz davor, zusammenzubrechen. Ich wollte nicht zurück in unser Haus. Ich konnte den Ziegenpfad und den Anblick von Sams Sachen nicht ertragen. Aber wo sonst sollten wir hinfahren.
    Als Steve fragte, ob ich die Fußgängerbrücke sehen wollte, schlug ich meinen Kopf gegen das Autofenster und schrie. Ich wollte nie mehr auch nur in die Nähe von dem Ding. Er nahm den langen Weg nach Hause, so dass wir sie nicht unterqueren mussten. Vielleicht standen noch Leute da, die den Kopf schüttelten und den Asphalt nach Blutflecken absuchten.
    Anschuldigungen schossen wie Flammen aus meinem Mund. Ich brüllte Steve an, warum er die Jungen nicht zum Tierarzt gefahren hätte. Er habe den Kuchen fertig machen müssen, erklärte er. Blind vor Wut warf ich ihm vor, sich mehr für einen Kuchen als für seine Söhne zu interessieren.Ein weniger überhitzter Teil meines Verstandes wusste, dass diese Vorwürfe ungerecht und irrational waren.
    Statt meine Vorwürfe von sich zu weisen, wie sie es verdient hätten, erklärte Steve, dass die Tierarzt-Praxis nur ein kurzes Stück den Hügel hinunter lag. Er erinnerte mich daran, dass die Jungen die Verkehrsregeln kannten und dass Sam nicht zu bremsen war, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Wir wüssten doch beide, welchen Narren Sam an Tieren gefressen habe – gefressen hatte. Dass sich Steve korrigierte, empfand ich als Obszönität.
    Wie eine Krake tastete mein Verstand nach anderen Möglichkeiten. Vielleicht war das Ganze ein Missverständnis und Sam war gar nicht tot. Steve ließ sich nicht in meine Wahnideen hineinziehen. Er hätte mit dem Notarztwagenfahrer gesprochen und der hätte ihm gesagt, es täte ihm leid, aber unser Sohn sei verschieden.
    Verschieden? Das Wort provozierte einen neuerlichen Zornesausbruch. Auf der Journalistenschule hatten unsere Lehrer uns eingebläut, tot hieße tot, nicht verschieden, eingeschlafen oder vom lieben Gott zu sich geholt. Wie konnte ein Notarztwagenfahrer, der tagtäglich mit dem Tod konfrontiert war, zu einem solchen Euphemismus greifen?
    Ohne auf meinen Ausbruch einzugehen, wiederholte Steve nur noch einmal, was der Fahrer gesagt hatte. Selbst wenn Sam dank irgendeines Wunders seine schwere Kopfverletzung überlebt

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