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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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festzuhalten, sonst wäre ich auf ihr gelandet.
    In einer Position, die einem Yogi Ehre gemacht hätte, hielt ich mich an den Makramee-Fransen fest und entschuldigte mich wortreich. Das Kätzchen hatte sich auf den Rücken gerollt, eine Pfote angewinkelt, und fixierte mich mit einem verletzten Gesichtsausdruck. Ich fühlte mich furchtbar schlecht, weil ich ihr wehgetan hatte.
    Gerade als ich mich bücken wollte, um sie hochzunehmen, explodierte der kleine Fellball, sprang auf und lief davon. Erleichtert folgte ich ihr – bis sie abrupt stehen blieb und mich wieder zum Straucheln brachte. Und wieder!
    Cleo war offenbar zu dem Schluss gekommen, dass ich ein lächerliches Tier war, mit meinen Vogelnesthaaren und meiner Fixierung darauf, mich auf zwei Beinen zu bewegen. Ihre Mission war, mein Fell zu trimmen und mich runter auf alle viere zu kriegen, damit ich die Vorteile des Katzenlebens kennenlernen konnte.
    Aber ich konnte keine irre Katze brauchen. Das Tier hatte kein Recht dazu, durch unsere Trauergemächer zu tänzeln, als sei das Leben eine Art Scherz. Sam hätte gewusst, wie sie zu bändigen war. Ich konnte ihn beinahe sehen, wie er sich über sie beugte, die Hand nach ihr ausgestreckt, seine weichen Lippen feucht und zärtlich …
    Ich rannte ins Badezimmer, der einzige Ort, wo ich alleine weinen konnte, und zog den Vorhang zu. Rob musste nicht noch mehr Tränen und Verzweiflung von Erwachsenen sehen. Wenn dieser Tag doch anders verlaufen wäre. Wenn Sam nicht die Taube gefunden und Steve nicht den Zitronen-Baiser-Kuchen gemacht hätte, ich nicht zum Mittagessen außer Haus gewesen und diese Frau nicht zurück zur Arbeit gefahren wäre … Diese Frau . Es war alles ihre Schuld. Ich fragte mich, ob sie selbst Kinder hatte und sich vorstellen konnte, welche Höllenqualen wir gerade durchlitten. In meinem Kopf hatte sie sich in ein Ungeheuer verwandelt.
    Ein Schluchzen drang aus meiner Kehle. Ich versuchte es zu unterdrücken, lehnte die Stirn gegen die kalten blauen Fliesen und umklammerte meinen Bauch. Meine Brustmuskeln taten weh. Das Fassungsvermögen der menschlichen Tränenkanäle erstaunte mich immer wieder. Wie viele Wassereimer konnte ein Augenpaar füllen? Kaum war ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich das Kontingent eines ganzen Lebens verbraucht hatte, floss eine weitere Tankwagenladung über meine Wangen. Weinen war zu einer weiterenVitalfunktion geworden, dem Atmen vergleichbar, die ohne Willensanstrengung ablief.
    Als ich mich über die Kloschüssel beugte, löste sich ein Teil meines Bewusstseins und schwebte zur Badezimmerdecke hoch. Von dort sah es milde auf die heulende, von Schmerz und Hass gekrümmte Frau hinunter. Dieses andere Ich, das die Dinge aus einer gewissen Distanz betrachtete, nahm sie auch nicht so persönlich. Es hatte etwas Unheimliches, Gleichgültiges an sich. Vielleicht war es von Geburt an da gewesen und ich würde den Rest meines Lebens damit verbringen, es unter Gefühlen, Verpflichtungen und der Erfüllung von Erwartungen zu begraben.
    Gleichzeitig machte es mir Angst. Was, wenn ich irgendwann der Versuchung erlag, damit in die Ewigkeit zu entschweben und wie ein belustigter Zoodirektor auf die Dramen der Menschen hinunterzulächeln? Die Vorstellung, meinen Körper zu verlassen und dem Schmerz zu entfliehen, kam mir plötzlich allzu verführerisch vor. Ich machte das Badezimmerschränkchen auf und hielt die Flasche mit Schlaftabletten gegen das Licht. Jede einzelne der Tabletten hinter dem braunen Glas war ein verlockendes Versprechen, und es waren noch eine Menge übrig. Ich schraubte das Fläschchen auf. Schlecht rochen sie nicht. Mit genug Brandy ließen sie sich herunterspülen.
    Da öffnete sich die Badezimmertür einen Spalt. Mist, ich hatte sie nicht richtig geschlossen. Der Duschvorhang bewegte sich leicht. Bestimmt hatte Rob die Haustür offen stehen gelassen, so dass es jetzt zog. Ich beugte mich vor, um die Tür zuzudrücken. Wieder ging sie auf. Als ich nach unten blickte, sah ich eine schwarze Pfote den Spalt entlanggleiten. Cleo kam herein, tappte über die Fliesen und verlangte miauend von mir hochgenommen zu werden. Miteinem Seufzen stellte ich die Tabletten zurück in den Schrank und schloss ihn leise. Mit einem endgültigen Abschied würde ich es mir zu leicht machen. Cleos unverfrorenes Auftauchen im Badezimmer erinnerte mich an meine Verantwortung. Ich hatte kein Recht, aufzugeben, wenn ein Junge und ein Kätzchen Beständigkeit in ihrem Leben

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