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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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langer Zeit hatte man mich für eine warmherzige, freundliche Frau gehalten. In der Grundschule hatten mir die anderen Kinder den Spitznamen »Happy« gegeben. Dass man mich wieder so nennen könnte, diese Gefahr war inzwischen wohl gebannt. »Sollen wir Jason mitnehmen?«
    Natürlich würde sie Nein sagen. Das gebot allein die Höflichkeit und der Respekt vor dem Kerker aus Trauer, in den ich eingesperrt war. Ich hatte also Manieren bewiesen und würde trotzdem davonkommen. Sie würde ablehnen und wir könnten jeder wieder unser eigenes Leben führen.
    »Das wäre reizend«, erwiderte Ginny und fixierte mich mit ihren braunen Augen, die erstaunlicherweise Wärme ausstrahlten und noch etwas anderes. Was war das nur – ein Funke Weisheit? »Ciao-ciao!«
    Ciao-ciao? So redeten Fotomodelle in Rente wohl. Ich sah Ginny hinterher, die wie eine Erscheinung aus einem Punkrock-Magazin davonschlenderte, und hatte das Gefühl, hereingelegt worden zu sein. Mit einem einzigen Klopfen an unser Küchenfenster hatte sie uns um unseren feierlichen Abschied am Schultor gebracht.
    Schlimmer noch, sie und Jason waren in unsere Küche geplatzt, als sei es das Normalste von der Welt. Dieser Anfall von Nachbarschaftspflege war einfach dreist. Die Frau musste verrückt sein. Entweder das oder sie war äußerst mitfühlend und bewies mehr Tiefe, als ich ihr zugetraut hätte. Nein, Ginny musste verrückt sein. Oder wirklich sensibel. Woher sonst sollte sie wissen, dass man mit traumatisierten Menschen am besten ganz normal redete (über das eine oder andere Ciao-ciao sah ich mal hinweg)? Auf eine solche Breitseite Herzenswärme war ich nicht gefasst gewesen, nicht so bald nach dem Frühstück jedenfalls.
    Diese Frau musste man einfach bewundern. Eine goldfarbene Vinyljacke und Strumpfhosen mit Leopardenmuster? Was war das nur für ein Duft, der ihr hinterherwehte – Tigermoschus? Und wie kam es, dass diese Gehänge in Lüstergröße ihr nicht die Ohren abrissen? In meiner Dummheit bekam ich gar nicht mit, dass ich gerade eine Freundin fürs Leben gefunden hatte.
    Mit seiner Punkfrisur und der lila Schultasche mit den Rockband-Aufklebern war Jason die Personifikation von Coolness. Gleichzeitig war er völlig vernarrt in Cleo, wie es in dieser Unbefangenheit nur ein Kind vermochte.
    »Die ist so niedlich!«, sagte Jason und wiegte das schwarze Bündel in seinen Armen. »Hast du ein Glück!«
    Es war das erste Mal seit einer halben Ewigkeit, dass jemand das Wort Glück in Zusammenhang mit unserer Familie gebrauchte.
    »Sie hat gern Freunde«, erwiderte Rob.
    Ich spitzte die Ohren. Rob erinnerte sich an Cleos Versprechen aus dem Traum mit der sprechenden Katze, ihm bei der Suche nach neuen Freunden zu helfen.
    »Darf ich nach der Schule rüberkommen und mit ihr spielen?«, fragte Jason.
    »Klar!«, antworteten wir wie aus einem Munde.
    Cleo legte sich auf Robs Bett in die Sonne, und wir machten uns auf den Weg, Rata in unserem Kielwasser. Auf halber Strecke den Ziegenpfad hinauf ging der alten Hündin jedoch die Puste aus, und sie ließ sich auf den Boden sinken. Ich wartete einen Moment bei ihr. Sie keuchte heftig, klopfte dabei aber mit dem Schwanz beruhigend auf den Boden, so als wollte sie sagen: »Macht euch meinetwegen keine Gedanken.«
    Als Rata wieder zu Atem gekommen war, kletterten wirden Rest des Weges hoch. Die Jungen sahen besorgt zu, wie sie zum Auto schlich. Als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurde, riss sie sich zusammen. Mit erhobenem Schwanz sprang sie schwungvoll auf die Ladefläche des Kombis.
    Unser ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden, nur das Schultor sah aus wie eh und je. Es war mindestens siebzig Jahre alt. Die ersten Kinder, die hier durchgerannt waren, waren nun schon alte Frauen und Männer. Müde und grau geworden, wohnten sie mittlerweile in Altersheimen, während die Tore nur von einer weiteren Rostschicht überzogen waren. Das kam mir ungerecht vor. Aber vor die Wahl gestellt, würde ich trotzdem lieber als Mensch auf die Welt kommen, der nur über eine begrenzte Zeit Heiterkeit und Leid erfahren konnte, statt als ein Tor, das hundertfünfzig Jahre ohne Gefühle überdauerte.
    Kinder strömten durch das Tor, noch immer voller Geschichten aus den Sommerferien. Sams Tod war sicher an jedem Küchentisch ein Thema gewesen. Würden die Kinder Rob mit Aufmerksamkeit überhäufen oder würden sie ihn schlicht ignorieren, weil sie nicht wussten, was sie sagen sollten? Ich unterdrückte den Drang, mit

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