Cleo
dem Fernsehsessel wie in einem Nest, in dem wir die Wochen faul vergehen lassen konnten.
Während des fünften und sechsten Monats machte es sich Cleo auf der Spitze der Erhebung gemütlich, den Kopf bequem für ein paar Streicheleinheiten positioniert. Cleo liebte es, wenn man die Einbuchtung hinter ihren Ohren mit kleinen kreisförmigen Bewegungen massierte, gelegentlich unterbrochen von Ganzkörperbehandlungen, die an der Stirn ansetzten und bis zur Schwanzspitze führten. Aber auch die Masseurin genoss das und nachts kitzelten meine Hände in Erinnerung an das Fell.
Als die Wochen ins Land zogen und mein Bauch immer größer wurde, ging Cleo dazu über, sich hinzuschmiegen, wo immer sie konnte, an meiner Seite oder in den unteren Regionen meines expandierenden Körpers. Die Krallen zog sie zuvorkommenderweise ein, zumindest bis sie es nicht mehr aushielt. Dann, überwältigt von Wohlbehagen, knetete sie sie in gleichmäßigem Rhythmus in ihr laut protestierendes menschliches Heizkissen.
Das Fell einer Katze ist von der Textur her ganz verschieden, von dem dichten Samt über der Nase über die seidigenPolster an ihren Pfoten bis zu dem glatten Pelz auf dem Rücken und dem zarten flauschigen Fell am Bauch. Seine Weichheit steht in einem merkwürdigen Kontrast zu den messerscharfen Krallen und Zähnen. Wobei eine Katze auch sonst eine Ansammlung von Widersprüchen ist – einen Moment liebenswürdig, im nächsten überheblich, eine treu sorgende Mutter und dann wieder eine kaltherzige Mörderin, die mit ihrer verletzten Beute spielt.
Als ich so zusammen mit Cleo im Sessel hing, verspürte ich plötzlich das dringende Bedürfnis, Wolle zwischen meinen Fingern durchlaufen zu spüren. Da mich die spinnwebartige Zartheit von Babykleidung überforderte, kaufte ich drei Knäuel dicker blauer Wolle und ein Paar grobe Stricknadeln und machte mich daran, Rob einen simplen Schal zu stricken.
Das eintönige Klappern von Stricknadeln ist in etwa so beruhigend wie der Herzschlag. Dass ein einzelner Wollfaden in einer Weise verknüpft werden kann, dass daraus ein dreidimensionales Kleidungsstück entsteht, erscheint mir fast so geheimnisvoll wie das Entstehen eines Babys aus einem Zellhaufen.
Jede Masche ist in sich abgeschlossen und doch mit den vorherigen und den kommenden Maschen verbunden. Während ich die Wolle um die Nadeln schlang und Masche um Masche strickte, dachte ich an Sam. Durch eine Masche stechen, Faden holen, abheben, locker lassen … Faden holen, abheben, locker lassen, … Wenn ich das zehntausend oder eine Million Mal machen würde, könnte das vielleicht irgendwann auch meine Seele – loslassen.
Wie hypnotisiert wanderten Cleos Augen mit den Bewegungen der Stricknadeln mit. Sie passte den Zeitpunkt ab, wenn die Nadeln an ihrem Gesicht vorbeiruderten, dannschlug sie zu und hielt sie zwischen den Zähnen gefangen. Die feindlichen Stricknadeln machten sie manchmal zu einer solchen Plage, dass ich sie von meinem Schoß hob und auf den Boden setzte. Doch das war keine Strafe – die blaue Wolle, die sich schlangengleich von dem Knäuel wickelte, war mindestens ebenso aufregend.
Abgesehen von gelegentlichen Unstimmigkeiten über Wolle und Stricknadeln verbrachten wir unsere Tage in trauter Zweisamkeit mit Essen, Träumen und der Suche nach dem sonnigsten Plätzchen im Haus. Jeder Moment war eine Masche in einem größeren Gewebe, das langsam wuchs, verbunden mit dem Leben, das wir zuvor mit Sam gehabt hatten, aber doch auch ganz anders. Ich wickelte den Haushalt mit demselben Gleichmut ab wie ein Wollknäuel. Besteck wurde in die Küchenschublade geworfen, nur um wieder herausgeholt, benutzt, abgewaschen, abgetrocknet und erneut hineingeworfen zu werden. Jeden Morgen stapften Rob und Jason durch die Dämmerung den Weg zur Schule hinunter und kehrten zurück, wenn der Tag sich schon wieder seinem Ende zuneigte. Wäscheberge warteten darauf, sortiert, gewaschen und auf Wäscheleinen, von denen aus man den Fähranleger sah, gehängt zu werden. Nur um wieder abgenommen, gefaltet, gebügelt, in Schränke gelegt, getragen und erneut auf einen vertraut riechenden Haufen geworfen zu werden. Diese in sich geschlossenen, tröstenden Kreisläufe mit ihren tausendfältigen Anfängen, Mitten und Enden verwoben sich zu so etwas wie einem normalen Leben.
Während das Sonnenlicht über die Tapete rieselte, fragte ich mich, warum wir eigentlich unbedingt unser Haus renovieren mussten. Was war so schlimm an der Tapete?
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