Cleopatra
»Warum tun Sie verdammt noch mal nicht Ihre Arbeit?«, zischte sie. Mit ihrer Tasche riss sie den Stuhl um, so dass ich ihn festhalten musste.
Ich schaute ihr nach. Ich hatte noch hundert Fragen.
Nebenbei bemerkt hatte ich das Gefühl, dass ich nur eine kleine Rolle in einem Theaterstück spielte, dessen Intrige von A bis Z von einem achtjährigen Mädchen erfunden worden sein konnte, das den Tod seiner Mutter nicht verarbeitet hatte.
»Ich bin ein Kollege Ihres Mannes«, sagte ich.
Die Frau schaute sich meinen Ausweis an. »Das muss aber lange her sein.«
Sie schien um die siebzig zu sein, mit dünnem grauem Haar und Augen, die nicht mehr an Wunder glaubten. Am Erkerfenster in der bescheidenen Doppelhaushälfte mit Vorgarten sah ich noch eine andere Frau sitzen, die ihre Schwester hätte sein können.
»Er war doch Privatdetektiv?«
»Ja, aber er ist vor zehn Jahren an Lungenkrebs gestorben.«
»Oh. Das tut mir Leid.« Ich weiß nie, was ich in solchen Situationen sagen soll, trotz des Polizeikurses ›Reden mit Angehörigen‹. In den meisten Fällen braucht man gar nichts zu sagen, genau wie im Film, sie sehen es einem gleich an, fangen an zu weinen und man legt den Arm um sie. Es gehört zu den traurigsten Aufgaben bei der Polizei, um die ich mich damals, wann immer ich konnte, feige zu drücken pflegte.
»Ich habe zehn Jahre Zeit gehabt, mich daran zu gewöhnen«, sagte Frau Blink entgegenkommend, als erriete sie meine Gedanken. »Vorher ist er lange krank gewesen. Er hat schon 1985 aufgehört zu arbeiten. Was kann ich für Sie tun?«
Wahrscheinlich nichts. »Es geht um einen alten Fall.«
Ich zog umständlich die Quittung aus meiner Brieftasche. Sie kniff die Augen zusammen, als brauchte sie eigentlich eine Lesebrille.
»1979«, sagte sie bestätigend und gab mir die Quittung zurück.
»Ich wüsste gern, worum es bei diesem Auftrag ging, im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen. Ihr Mann würde sich sicher auf seine Geheimhaltungspflicht berufen, aber vielleicht würde er auch einem Kollegen aus der Patsche helfen wollen, indem er mir wenigstens einen Hinweis gäbe.«
»Ich weiß nicht, was er machen würde. Ich kann ihn nicht mehr fragen.«
»Außerdem ist seine Klientin schon lange tot.« »Oh.«
Ich schaute unzufrieden auf den gepflegten Vorgarten, wo zu beiden Seiten des Plattenwegs Staudenpflanzen wuchsen, deren verdorrte Blüten offensichtlich täglich herausgeschnitten wurden. »Ich wage es kaum zu fragen, aber vielleicht haben Sie seine alten Unterlagen noch …«
»Govert hat alles vernichtet, gleich nachdem er aufgehört hatte zu arbeiten. Das hielt er für korrekt.«
»Ja«, stimmte ich zu, »das ist es auch. Sie können sich also nicht an den Fall erinnern?«
»Doch, natürlich«, antwortete sie spöttisch.
Ich unterdrückte meine Gereiztheit. Sie sah meinen Gesichtsausdruck. »Mein Mann sagte immer, man solle grundsätzlich keine Fragen beantworten, die gar nicht gestellt worden sind.«
»Da hatte er auch völlig recht«, sagte ich, wohlwollender, als ich mich fühlte.
»Ich erinnere mich deswegen daran, weil eine Sendung im Fernsehen kam, als ihr Mann Minister wurde. Dabei wurde erwähnt, dass seine erste Frau mit dem Flugzeug abgestürzt war. Da habe ich zu Govert gesagt: ›War das nicht eine Klientin von dir?‹«
Sie lächelte wieder, etwas herausfordernd, als wolle sie im Tausch für ihre Frage eine Antwort hören.
»Hat er Ihnen erzählt, worum es ging?«
»Ja, sie dachte, ihr Mann habe ein Verhältnis.«
»Cleveringa?!?«
»Ja.«
»Hat Ihr Mann auch gesagt, mit wem?«
»Nein, ich habe keinen blassen Schimmer. Aber ich glaube, dass er das ganze Tamtam ein bisschen altmodisch fand, denn er machte Witze darüber. Seiner Meinung nach litt die Dame unter Verfolgungswahn. Nun, aber jetzt ist sie ja tot. Ich rede nicht schlecht über meinen verstorbenen Mann, da möchte ich auch nicht schlecht über andere Tote reden.«
Bei Rechtsanwälten braucht man es mit dem ›Mümo Meulendijk‹-Gemurmel – in der Hoffnung, sie würden denken, man bekleide eine offizielle Funktion – erst gar nicht zu versuchen. Ein alter Fuchs wie Julius Brinkman würde einen sofort unter einem Vorwand im Wartezimmer einsperren und die Polizei rufen.
Brinkman war der älteste Partner in einer Gemeinschaftskanzlei von fünf oder sechs Juristen, die zusammen mit ihren Gehilfen und Sekretärinnen in einer üppig ausgestatteten Utrechter Villa am Wilhelminapark residierten.
Alle waren sehr
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