Cleopatra
ich zunächst vermutet hatte, sondern jemand, der beim Namen Julius sofort Bescheid wusste und den er gut genug kannte, um ihn zu duzen.
»Ist Cleveringa Ihr Mandant?«, fragte ich.
Er drückte auf einen Knopf.
»War er es vor fünfzehn Jahren auch schon?«, beharrte ich.
»Soweit ich weiß, hat er noch nie einen anderen Rechtsanwalt gehabt.«
Eine Sekretärin kam herein. Der Gedanke an eine kleine Chance schoss mir durch den Kopf und ich stand hastig auf, in der Hoffnung, dass Brinkman zu gut erzogen war für Bemerkungen wie: Emmy, werfen Sie diesen Betrüger hinaus.
Brinkman sagte: »Hanna, Herr Winter ist hier fertig.«
Ich lächelte breit und dankte ihm für seine Mitarbeit, bevor er die falschen Dinge hinzufügen konnte.
Die Sekretärin ließ mich höflich vorausgehen und schloss die Tür.
Als ich neben ihr über den Flur ging, sagte ich: »Ich muss nur noch kurz zu Frau de Graal, Ihrer Buchhalterin, dann bin ich fertig.«
Das Mädchen zeigte nicht den geringsten Argwohn. »Da entlang bitte. Worum geht es?«
»Steuerberatung«, sagte ich. »Das übliche Theater. Die fünfjährliche Betriebsprüfung rückt näher.«
Das Mädchen klopfte an die Tür und kündigte mich an. Eine Dame mit kurzem grauem Haar umringt von Aktenschränken, Computern und Kopierern blickte auf.
»Vielen Dank, ich finde nachher schon selbst hinaus«, sagte ich zu der Sekretärin und wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte, bevor ich auf das Faktotum zuging, um mich vorzustellen.
Els de Graal musste die fünfzig schon um etliches überschritten haben. Sie hatte ein freundliches Gesicht, fast mütterlich, aber es war ein frustrierter Ausdruck in ihren Augen. Sie sah aus wie die ewige, unverheiratete Sekretärin oder Buchhalterin, für die das Büro ihre ganze Welt ist und die denkt, auch wenn ihr Name zu Unrecht nicht im Briefkopf steht, sei sie unersetzlich und schmisse im Grunde den Laden, jahrein, jahraus, bis zur unvermeidlichen Enttäuschung. Für Menschen wie Els de Graal ist die goldene Uhr zum Abschied so etwas wie der Todeskuss.
»Herr Brinkman sagte mir, Sie seien die Einzige hier, die mir helfen könne«, sagte ich.
Sie lächelte zuvorkommend. »Was kann ich für Sie tun?«
»Darf ich mich setzen? Ich arbeite für Staatsanwalt Meulendijk. Wir sind auf der Suche nach einer ehemaligen Angestellten von Ihnen, Clara Mending.«
Sie korrigierte mich nicht wegen des besitzanzeigenden Fürworts. »Clara? Ja, ich erinnere mich an sie. Sie hat ungefähr sechs Jahre hier gearbeitet. Ist etwas mit ihr?«
»Wir versuchen, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln, im Auftrag ihrer Familie.«
»Aus Belgien?«
»Ja. Hat sie Ihnen erzählt, wo sie hinwollte, nachdem sie hier gekündigt hatte?«
»Nein, leider nicht. Das war Anfang 1980.«
»Sie kündigte hier, weil sie heiraten wollte?«
»Das sagte sie jedenfalls.« Sie runzelte die Stirn, als rege sie sich noch heute ein wenig über das mangelnde Vertrauen Claras auf. »Sie verhielt sich in den letzten Wochen ein wenig merkwürdig. Sie wollte noch nicht einmal sagen, wen sie heiratete. Ich würde es dann schon auf der Einladungskarte lesen. Vor dieser Zeit hatte sie nie Geheimnisse vor mir.«
»Sie wussten also auch, dass sie mit Frau Cleveringa befreundet war?«
»Die arme Frau! Man fliegt in Urlaub und …«
»Ja, eine tragische Geschichte«, unterbrach ich sie behutsam. »Wissen Sie, wie sich die beiden kennen gelernt haben?«
»Natürlich.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ich selbst war mehr oder weniger die Ursache. Es war hier im Büro. Das Ehepaar hatte einen Gesprächstermin bei Herrn Brinkman. Frau Cleveringa kam nach einer Weile heraus und ging ins Wartezimmer. Da es ziemlich lange dauerte, habe ich Clara zu ihr geschickt, um zu fragen, ob sie Tee wollte. So haben sie sich kennen gelernt. Clara blieb ungefähr eine Stunde lang im Wartezimmer. Sie war aufgeregt und ganz begeistert von Frau Cleveringa, die sie sofort Cleo nannte. Sie sagte, sie sei sonntags nach Buchenstein eingeladen, dem Landhaus der Familie draußen an der Vecht.«
Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich hatte. Brinkman brauchte nur einen Brief diktieren zu wollen und schon würde er von seiner Sekretärin erfahren, dass sie diesen netten Steuerberater zur Buchhalterin gebracht hatte.
»Herr Brinkman hat Recht, was Ihr Gedächtnis betrifft«, sagte ich. »Wissen Sie noch, worum es bei der Besprechung ging?«
»Ich glaube, um finanzielle Dinge, es handelte sich wohl um die Regresspflicht bei
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