Cleopatra
beschäftigt, niemand hatte Zeit. Ich hatte keinen Termin und sah nicht aus wie ein wohlhabender zukünftiger Mandant. Also saß ich eine halbe Stunde in einem stillen Wartezimmer und blätterte alte Zeitschriften durch, bevor mich eine Sekretärin zu ihm brachte.
Brinkman musste das Pensionsalter schon um einige Jahre überschritten haben. Er war klein, recht untersetzt und trug einen dunklen Maßanzug. Er hatte graues Haar und scharf blickende, dunkle Augen, die durch eine Professoren-Brille hindurch mit angeborenem Argwohn meinen Ausweis studierten. Sein Büro sah aus wie das eines betuchten Rechtsanwalts auf dem Land, bei dem die lebenslange Beschäftigung mit Testamenten und Erbschaften eine Vorliebe für Antiquitäten hinterlassen hat. Ein hohes Fenster bot Aussicht auf den Garten. Das Sonnenlicht schien nur zögerlich hinein, als wisse es nicht recht, ob es sich zwischen den schweren Gardinen aus kardinalrotem Samt, den soliden Schränken und der Abwesenheit von modernen Geräten zur Textverarbeitung und Datenspeicherung wohl fühlen solle. Ein Tastentelefon schien die Grenze dessen darzustellen, was Brinkman an zeitgemäßer Technik akzeptierte.
»Meulendijk«, sagte er. »Der verdient mehr als wir.«
»Ein reines Herz wird manchmal belohnt«, sagte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen.
»Nur in Ausnahmefällen.« Er lächelte nicht, schob aber die Karte wieder zu mir. »Ich habe nicht viel Zeit.«
»Ich bin mit den Hintergrundrecherchen um eine Dame betraut, die bis Anfang 1980 hier gearbeitet hat, wahrscheinlich als Sekretärin. Sie kam aus Belgien; ihr Name ist Clara Mending.«
»Das ist lange her.« Sein Gedächtnis funktionierte tadellos. »Ich erinnere mich an Clara. 1975 hat sie hier als Schreibkraft angefangen. Dann wurde sie die Sekretärin von einem unserer jüngeren Partner, Huygestee. Nun ja, damals war er noch jung. Wir werden eben alle älter.«
»Können Sie sich noch daran erinnern, ob ihr gekündigt wurde oder ob sie selbst gekündigt hat?«
»Sie hat von sich aus gekündigt. Ich glaube, sie wollte heiraten. Es kam sehr überraschend.«
»Wissen Sie, wen sie heiraten wollte?«
»Nein.«
»Gibt es hier eventuell jemanden, vielleicht eine frühere Kollegin, die sich noch daran erinnern könnte?«
»Höchstens unser Faktotum, Els de Graal. Sie ist die einzige Angestellte, die schon damals bei uns war und auch heute noch hier arbeitet. Sie macht die Buchführung.«
»Könnte ich vielleicht mit ihr sprechen?«
»Worüber?«
»Über Clara Mending.«
»Das ist mir klar, aber worum geht es bei Ihrer Untersuchung?«
Die Atmosphäre kühlte sich ein wenig ab, als habe die Sonne Recht. Vielleicht wäre ich besser auch nicht hierher gekommen, sondern stattdessen mit seiner Sekretärin in die Sauna gegangen.
»Clara Mending war mit einer Person befreundet, die vermisst wird. Nun ja, wahrscheinlich ist sie verunglückt, aber wir wollen dahin gehend ganz sicher sein.«
»Und wer ist diese vermisste oder verunglückte Person?«
»Cleopatra Cleveringa.«
Brinkman schaute mich fünf Sekunden lang reglos an. »Hat das Ganze mit dem Skelett zu tun, das unter dem Tennisplatz der Cleveringas gefunden wurde?«
»Sie wissen also davon?«, fragte ich ausweichend.
»Sieht so aus, ja. Einen Augenblick.«
Ich konnte nur schweigend zusehen, wie er eine Schublade aufzog, ein kleines Buch aufschlug, den Hörer von seinem Apparat nahm und so langsam anfing, eine Nummer zu wählen, dass ich befürchtete, die Technik würde zwischendurch versagen. Telefone sind heutzutage nicht mehr für die Finger von alten Leuten gemacht und lassen einen im Stich, sobald man länger als einen Herzschlag zwischen den Zahlen pausiert.
Aber vielleicht hatte Brinkman ein besonderes Verhältnis dazu. »Hier ist Julius«, sagte er in den Hörer. »Bei mir ist gerade ein Herr Max Winter …«
Mehr war offensichtlich nicht nötig und er schaute mich stirnrunzelnd an, während er der Stimme an seinem Ohr lauschte.
»Ja, das tue ich. Du auch. Bis bald«, sagte Brinkman schließlich.
Er legte langsam auf und schob mit einem Finger seine Brille zurück auf die Nase. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, sagte er förmlich. »Ich habe gehört, Ihre Untersuchung habe sich erübrigt, da der Mordfall gelöst ist. Es gibt nicht den geringsten Zusammenhang zwischen dieser Sache und dem Mädchen, das hier gearbeitet hat, oder der ersten Ehefrau.«
Jetzt begriff ich.
Die Person, die er angerufen hatte, war nicht Meulendijk, wie
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