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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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hundertprozentige Identifikation nur durch eine Aufnahme aus exakt demselben Winkel möglich. Doch die müsste es eigentlich geben und ansonsten könnte sie angefertigt werden.«
    »Das muss natürlich in den Niederlanden geschehen«, sagte ich. »Könnte ich das Bild mitnehmen?«
    »Das Negativ?« Sie schüttelte den Kopf.
    »Natürlich, es muss in Ihren Unterlagen verbleiben. Falls wir es als Beweisstück brauchen, ist es sowieso besser, wenn es offiziell angefordert wird. Aber ein Abzug sollte für eine vorläufige Identifikation genügen. Ich übernehme natürlich gern die dabei entstehenden Kosten.«
    Frau Doktor Grüber dachte einen Moment nach. »Ich nehme an, in diesem Fall ist es in Ordnung«, beschloss sie dann und schaute auf die Uhr. »Morgen früh um neun liegt es für Sie bereit. Sind Sie damit einverstanden?«
    »Natürlich. Ich hätte auch sehr gern die Angaben über Frau Boerman und ihre Adresse in Südfrankreich … Ich versichere Ihnen, dass wir sie vertraulich behandeln werden.«
    Sie reagierte mit einer ironischen Miene auf meine Beteuerungen, wandte sich aber zu ihrem Computer und schaltete den Drucker ein. Kurz darauf überreichte sie mir den Ausdruck. »Ich bin der Meinung, dass es sich um eine andere Dame handeln muss«, sagte sie. »Aber wenn es dieselbe Frau ist, will sie vielleicht gar nicht gefunden werden. In den Niederlanden ist man doch immer so sehr für das Motto ›Leben und leben lassen‹?«
    »Wenn es um Mord geht, sind wir etwas weniger tolerant«, versicherte ich ihr.
    Ich spazierte zurück zum Hotel. Die Sonne ging gerade hinter dem Rothorn und dem Schwarzhorn unter und die Zeit der harten, dunklen Schatten kam von unten aus dem Tal heraufgekrochen.
    Ein Rätsel, dachte ich. Herr Boerman?
    Ich konnte mir vorstellen, dass Cleo, falls sie 1980 nicht verunglückt war und sich jahrelang versteckt gehalten hatte, nicht allein geblieben war, sondern sich einen Geliebten oder einen Freund zugelegt hatte. Doch es war weit weniger selbstverständlich, dass sie einen Liebhaber hatte, mit dem sie fünf oder sechs Wochen in einem abgelegenen Schweizer Wintersportort verbrachte, nachdem sie erst zwei Jahre verheiratet und mit ihrem ersten Kind schwanger war.
    Das machte jedoch die Wahl von Grächen logischer. Hier hatte nicht die Gefahr bestanden, auf der Piste einem ihrer Bekannten über den Weg zu laufen. Aber wie stand es mit der Kommunikation?
    Wenn Glinka wusste, in welchem Hotel Cleopatra wohnte, hatte es Cleveringa wahrscheinlich auch gewusst – oder etwa nicht? Wenn er im Grächer Hof anrief, hätte er bestimmt nicht nach Frau Boerman gefragt, sondern nach Frau Cleveringa. Und als Cleopatra sich das Bein brach, hatte sie doch vermutlich wenigstens ihrem Mann Bescheid gesagt: Josef, ich bleibe noch ein paar Wochen hier, bis der Gips entfernt werden kann.
    In diesem Fall hatte Cleveringa von der Fraktur gewusst. Warum hatte er dann geschwiegen, als die Polizei sich über den Beinbruch den Kopf zerbrach?
    Oder wusste er wirklich nichts davon? Zum Beispiel, weil Cleopatra es nicht für nötig gehalten hatte, ihn anzurufen? Und hatte er sie vielleicht auch gar nicht angerufen, weil die Ehe damals schon zerrüttet war? Kam deshalb nach dem ersten Kind kein zweites mehr? Hatte sich Cleopatra etwa deshalb geweigert, mit Clara Skilaufen zu gehen – nicht, weil sie sich dabei einmal das Bein gebrochen hatte, sondern weil es sie an einen Geliebten erinnerte, der sie möglicherweise im Stich gelassen hatte?
    Mir wurde klar, dass ich nie ein stimmiges Bild von Cleopatra erhalten würde und dass ich mich damit abfinden musste, einfach, weil sie schon so lange tot war. Es gab niemanden mehr, der sie wirklich gekannt hatte. Clara war tot und von einer Tochter, die damals gerade einmal acht Jahre alt gewesen war, konnte man nur wenig erwarten. Der Einzige, der mir eventuell helfen könnte, war Cleveringa, aber ich war wohl so ziemlich der Letzte, den er ins Vertrauen ziehen würde.
    Die junge Schweizerin im Hotel führte gerade ein Gespräch mit zwei anderen Gästen, winkte mich aber zu sich. Sie hielt die Hand auf ein altes Register, während sie einem deutschen Ehepaar den Zimmerschlüssel reichte und ihnen einen angenehmen Aufenthalt wünschte. Ein Liftboy nahm ihre Koffer und folgte ihnen zum Aufzug.
    »Ich habe sie leider nicht finden können«, sagte die junge Frau bedauernd, als wir allein waren. »Hier ist es, Februar 1972 … das ist die Handschrift meiner Mutter, ich ging damals noch in

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