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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verfolgte.
    »Halten Sie sich an den Hals«, hatte Colin geraten. »Versuchen Sie keinen Kopfschuss. Ist viel schwieriger, und Tiger haben schon oft eine Kopfwunde überlebt. Aber der Hals wird sie definitiv aufhalten.« Doch wie zur Hölle sollte man einem Tiger in den Hals schießen, wenn man viereinhalb Meter über seinem Kopf schwebte und er direkt auf einen zustürmte? Gemäß den Gesetzen der Geometrie wäre der Hals ein unmögliches Ziel, wenn sie näher kam. Mit sinkendem Mut musste Joe einräumen, dass alle anderen sie unglaublicherweise verfehlt hatten und es nun an ihm lag. Mit ruhiger Hand wartete er. Instinkt, Kalkulation, Glück - sie alle spielten eine Rolle: Plötzlich tauchte sie aus dem Gras auf, präsentierte ihren Hals für die Dauer eines weiteren Schrittes als Ziel. Joe drückte den Abzug. Ihr Lauf wurde abrupt unterbrochen. Sie stand still, sah zu ihm auf -mit einem leichten Lächeln im Gesicht, das hätte er beschwören können -, dann fiel sie zu Boden.
    Eine Bewegung unterhalb von Edgars Baum verriet Joe, dass Troop bereits auf die Beute zulief. Joe kletterte nach unten, das Gewehr immer noch umklammert. In seinem Kopf wirbelten die Gefühle durcheinander - etwas, das sehr einer Hochstimmung ähnelte, sprudelte ganz nach oben. Wie Colin es ihnen beigebracht hatte, nahm er einen Stein zur Hand und warf ihn auf die Tigerin, um ihre Lebenszeichen zu überprüfen. Es schien ihm eine gemeine Geste, aber es hatte schon Tiger gegeben, die scheinbar tot waren, jedoch brüllend aufgesprungen waren, als ein unerfahrener Großwildjäger sich genähert hatte, um seinen Fuß auf den Kadaver zu stellen. Es gab keine Bewegung, also trat Joe noch näher, um den zweiten Test durchzuführen. Er zog am Schwanzende des Tieres, und als es daraufhin immer noch keine Reaktion zeigte, winkte er im Triumph mit seinem Gewehr, während Edgar auf ihn zugerannt kam.
    Als Edgar das offene Gelände erreichte, blieb er stehen. Sein Körper verspannte sich, er ließ seinen Hut fallen und brüllte etwas, das Joe über den fortgesetzten Lärm der Treiber und der nun hysterischen Affen nicht verstehen konnte.
    Joe wusste nicht, was los war, aber sein Blut gefror, als er sah, wie Edgar das Gewehr hob und direkt auf ihn zielte.
    »Edgar! Was zur Hölle?«
    Joe sah in die beiden Läufe eines Schnellfeuergewehrs, von denen einer immer noch geladen war.
    Edgar hielt das Gewehr mit der rechten Hand, hob den linken Arm und fuhr in der stummen Warnung aller Soldaten mit der Hand zweimal wild nach unten. Joe reagierte sofort und wirbelte herum, um seinen Rücken zu decken. Er sah direkt in das aufgerissene, rote Maul eines Tigers.
    Ein Tiger, nur wenige Meter entfernt, überaus lebendig, voller Zorn und zum Sprung ansetzend. Colins Stimme hallte in Joes Kopf wider, und seine Instinkte wurden aktiviert. Joe riss sein Gewehr hoch, als das Tier sprang. Er hatte keine Zeit, das Gewehr zu schultern, sondern feuerte aus der Hüfte. Der Rückstoß der mächtigen Waffe schleuderte ihn nach hinten und zur Seite, weg von dem einhundertdreißig Kilo schweren Körper, der nach unten stürzte und genau auf die Stelle fiel, an der Joe eben noch gestanden war. Der heiße Atem des Tieres strich über Joes Wange, als es zu Boden krachte, und die Klauen einer ausgestreckten Pfote durchfurchten seinen Unterarm.
    Der Affenchor überschlug sich. Wütende, kleine, schwarze Gesichter, die schnatterten und kreischten und Aststücke auf den Kadaver des Tigers warfen. Joe hievte sich auf die Beine und war froh über Edgars helfenden Arm, der ihn aufrichtete.
    »Tut mir Leid, Joe. Ich konnte nicht auf das Vieh zielen! Sie standen mir in der Schusslinie. Aber was soll’s. Wo zur Hölle ist der denn hergekommen? Alles in Ordnung, alter Knabe? Das war eine böse Überraschung!« Er ließ Joe los und ging zu dem Tiger. »Erstklassiger Schuss! Direkt durch den Hals!«
    Er richtete sich auf und lachte. »Zwei Tiger, mit zwei Kugeln, innerhalb von zwei Minuten! Das ist eine Geschichte, die noch jahrelang an den Lagerfeuern die Runde machen wird! >Zwei-Schuss-Sandilands< -ich kann es schon hören.«
    Edgars Versuch jovialer Unbekümmertheit konnte Joe nicht täuschen; damit überdeckte er nur seine tiefe, zitternde Erregung. Zu guter Letzt erlangte Joe wieder die Kontrolle über seine Stimmbänder. »Edgar - danke. Ich danke Ihnen sehr. Wieder einmal.«
    Edgar hob den Revolver. »Wir dürfen die Entwarnung über all der Aufregung nicht vergessen!« Er feuerte dreimal

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