Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Gedanke, dass er an einem sehr ungewöhnlichen Geschehen teilnahm. Eine Maharani wie Shub-hada wäre in der Vergangenheit - und soweit er wusste auch in der Gegenwart - immer vor den Augen jedes Mannes verborgen gehalten worden, und doch ritt sie hier mit ihm, so locker wie jede Frau aus dem Westen.
Sie hielt am anderen Ende des Polofeldes in einem schattigen Hain aus Akazienbäumen an und stieg ab. Joe tat es ihr gleich, und sie banden die Pferde an einen Ast. Es interessierte ihn, warum sie dieses Zusammensein mit ihm arrangiert hatte. Er fragte sich, ob sie wusste, wie es wirklich um ihren Ehemann stand. Und er hätte zu gern gewusst, wie ihre eigene Zukunft vom Tod ihres Mannes beeinflusst werden würde. Doch er stellte keine dieser Fragen. Selbst in Reitkleidung war sie von königlichem Geblüt - und ein Beamter von Scotland Yard weiß, wohin er gehört.
Sie setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und wies mit dem Finger auf das andere Ende. Joe setzte sich und wartete.
»Ich frage mich, ob Sie wissen, Commander, wie ernst es um meinen Mann steht?«, sagte sie schließlich.
Vielleicht würde dieses Gespräch doch nicht so schwierig werden, wie er befürchtet hatte.
»Ich weiß es, Euer Hoheit, und darf ich Ihnen sagen, wie sehr ...«
»Ja, dürfen Sie«, unterbrach sie ihn, »aber erst, wenn die Zeit gekommen ist. Ich bin sicher, sein Arzt wird Ihnen Genaueres mitteilen, aber wir denken, dass er den Sommer nicht überlebt. Wir hätten ihn natürlich in die Schweiz bringen sollen, wo wir die heiße Jahreszeit sonst auch immer verbringen, aber sein Arzt hat sich dagegen ausgesprochen. Udai würde die Reise offenbar nicht überleben. Und als Herrscher zieht er es natürlich vor, dort zu sterben, wo er gelebt hat, hier, im Herzen seines Königreichs.«
»Ein entsetzlicher Verlust für viele Menschen«, murmelte Joe.
»Weitaus größer, als Sie sich vorstellen können«, bestätigte sie. »Aber diejenigen, die in diesen Zeiten der Veränderung am meisten leiden, sind die Frauen des Herrschers. Und von diesen hat die jüngste, kinderlose Frau am meisten zu verlieren.«
Er sah sie an, sprachlos angesichts ihrer plötzlichen Offenheit.
Sie lächelte. »Ich denke, Sie mögen mich nicht sehr, Commander. Es gibt auch keinen Grund, warum Sie mich mögen sollten. Sie sind ein Fremder, Sie schulden mir weder Loyalität noch Zuneigung, aber ... ich will Ihnen etwas sagen, ich bin sehr froh, dass Sie hier sind! Ich wurde in Europa erzogen und, glauben Sie mir, in den kleinen akademischen und aristokratischen Kreisen, in denen ich mich in London, Paris und Genf bewegte, akzeptierte man nur zu gern die Sicherheit einer Gemeinschaft mit gut ausgebildeter Polizei. Ich weiß, Sie haben hier in Rani-pur keine Verfügungsgewalt, aber allein Ihre Anwesenheit erinnert mich an die geordnete Welt, in der ich aufwuchs und die mir immer noch offen steht, falls ich mich jemals dorthin zurückziehen müsste.«
Was war das? Die verschleierte Bitte um eine wei-tere Fahrkarte aus dem Land? Mit wenigen galanten Sätzen bestärkte Joe sie, sich ganz auf ihn zu verlassen, er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um ihre Last zu erleichtern.
Sie lächelte. »Vergessen Sie nie, dass Sie das sagten, Commander! Ich werde es jedenfalls nicht vergessen.«
Ermutigt von der neuen, zugänglicheren Seite ihrer Persönlichkeit, die sie ihm präsentierte, wagte er, sie zu fragen, wie sie den Maharadscha kennen gelernt hatte.
Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen erzählen, dass es eine romantische Begegnung war ... Sie wissen schon, sein Blick erhaschte den meinen über die Tanzfläche auf einem Jägerball hinweg . oder ich eilte zu ihm, um ihm aufzuhelfen, als er vom Polopferd fiel . aber nein. Die Ehe wurde arrangiert.«
Sie spürte, dass er an ihren Lippen hing, also fuhr sie fort. »Mein Vater ist Radscha in einer südlichen Provinz. Ein fortschrittlicher Mann, was die Gleichberechtigung der Geschlechter angeht. Seine eigene Mutter, meine Großmutter, regierte das Land über viele Jahre hinweg mit beängstigender Effizienz, solange ihr Sohn noch minderjährig war .«
Shubhada sah Joes Überraschung und fügte hinzu: »Es gibt ein oder zwei Provinzen, in denen die Thronfolge durch die weibliche Linie erfolgt - beispielsweise Travancore und Cochin, und über Generationen hinweg regierten Frauen in Bhopal. Die Ti-gerkönigin von Bhopal verließ sogar die Purdah , um Seite an Seite mit ihrem Volk arbeiten
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