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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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geschehen war, wenn das Gleichgewicht in ihrem Leben gestört worden sein sollte . aber natürlich war etwas geschehen. Etwas, das für Madeleine welterschütternde Proportionen besessen haben musste. Der älteste Sohn war gestorben. Auf einen Schlag wurde Prithvi, der Herumtreiber und Gesellschaftslöwe, der einen Großteil seiner Zeit in prinzlichem Luxus in Europa oder Amerika mit seiner angebeteten jungen Frau verbrachte, zum Thronerben von Ranipur. Hatte er sich dem Druck, der in den Wochen nach dem Tod seines Bruders auf ihn ausgeübt worden war, gebeugt? Der Druck, sich dem ernsten Geschäft des Regierens zu widmen, zu den Familientraditionen zurückzukehren und sich eine indische Frau zu nehmen, um die Thronfolge zu sichern? Wie stabil war Madeleines Ehe in letzter Zeit gewesen?
    Sie besaß die technischen Fähigkeiten und die Gelegenheit, genau die richtige Anzahl an Stahlkabeln durchzutrennen, um ihren Ehemann im Sturzflug zu Boden gehen zu lassen. War sie nach zwei Jahren des erdrückenden Palastlebens als Prinzessin müde geworden - und noch dazu als eine Prinzessin, die alle verachteten und ignorierten? Sie hatte in der letzten Nacht, an die er sich wie durch einen mentalen Nebel erinnerte, etwas gesagt: »Ich habe eine Fahrkarte nach draußen!« Sie wollte den Maharadscha, durch faire oder unfaire Mittel, davon überzeugen, sie gehen zu lassen - und das nicht mit leeren Händen. Joe fragte sich, woraus genau diese >Fahrkarte< bestand.
    Vielleicht konnte ihr Bruder Stuart Licht in diese Angelegenheit bringen? Joe sah auf seine Armbanduhr. Sechs Uhr, und er war um neun Uhr mit Stuart verabredet. Reichlich Zeit, sich der Kaffeekanne und den Bergen von Toast zu widmen, die Govind soeben gebracht hatte. Joe beschloss, lieber den Deckel auf dem silbernen Warmhaltetablett zu lassen, das zweifellos Eier in der einen oder anderen Zubereitungsform enthielt. Er würde ein kaltes Bad genießen und dann einen Spaziergang an der frischesten Luft machen, die er an diesem Tag erwarten durfte, um den Kopf zu klären. Hinaus zum Polofeld vielleicht, weit weg von den Frauenquartieren und der Stadt. Eine halbe Stunde später zog er das weiße Hemd, die Sommerhose und die Reiterjacke an, die Govind für ihn ausgesucht hatte, griff sich seinen Tropenhelm und machte sich auf den Weg.
    Die Sonne brannte bereits vom Himmel, als er um sieben Uhr den Palast verließ. Während er auf die Veranda schlenderte und auf das Polofeld blickte, entdeckte ihn eine elegante Gestalt in Reitermontur, die gerade dabei war, auf eine glänzende, schwarze Araberstute zu steigen. Sie lenkte das Pferd auf ihn zu.
    Ihrer Dritten Hoheit folgte ein Syce , der wenige Meter hinter ihr auf einem gleichermaßen edlen Ross ritt. Die rote Seidentunika, der rote Turban und die schwarze Hose, die er trug, waren sorgfältig ausgewählt, vermutete Joe, um die weiße Reithose und die schwarze Jacke seiner Herrin zu komplementieren. Sogar der weiße Reiher, der hinter ihnen über den Rasen pickte, schien sich in das Bild einzufügen, das sie kreierten. Der Vogel hob ein Bein, präsentierte sein hieroglyphenhaftes Profil und stakste weiter. Unbewusst imitierte Shubhada seine Bewegungen und hob eine gebieterische Nase, die auf einer Münze zweifellos sehr beeindruckend wirken würde.
    »Commander Sandilands, guten Morgen«, rief sie. »Ich war überrascht, dass ich Sie nicht schon beim Frühsport gesehen habe.«
    »Ich habe verschlafen, Euer Hoheit«, erwiderte er mit einem entwaffnenden Lächeln. »Ich bin die Gastfreundschaft der Rajputen nicht gewöhnt und gab mich allzu eifrig all den guten Dingen hin, die der Palast zu bieten hat.«
    Zur Hölle! Falls die Gerüchteküche des Palastes auch nur halb so heiß brodelte, wie es allenthalben hieß, dann hatte sie wahrscheinlich schon gehört, dass er einen russischen Schachgroßmeister geschlagen und mit allen Figuren des Schachbrettes geschlafen hatte.
    »Dann empfehle ich einen kurzen Ausritt.« Sie drehte sich um und sprach mit dem Syce, der daraufhin abstieg und Joe sein Pferd zuführte. »Sollen wir?«
    Joe hatte Glück - das Pferd war an diesem Morgen schon gut eingeritten worden. Er hatte befürchtet, das Tier käme frisch aus den Stallungen und er müsse sich einen Kampf liefern, um es zu kontrollieren.
    Shubhada ritt im leichten Galopp entlang des Polofeldes voraus. Joe fand allmählich Gefallen daran, dankbar, dass er daran gedacht hatte, den Tropenhelm als Schutz vor der Sonne mitzunehmen. Ihm kam der

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