Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
freundschaftlich bist,
sage mir, ist es in dem Himmel ein Verbrechen, gar zu sehr zu lieben?
Ein gar zu zärtliches oder ein gar zu standhaftes Herz zu führen,
die Rolle einer Verliebten oder einer Römerin zu spielen?
Hat der Himmel keine glänzende Belohnung für diejenigen,
welche groß denken oder tapfer sterben?
A LEXANDER P OPE , »E LEGIE ZUM A NDENKEN EINES UNGLÜCKLICHEN F RAUENZIMMERS «
Will stand auf der Kuppe eines flachen Hügels, die Hände in die Taschen geschoben, und betrachtete angespannt die beschauliche Landschaft der Grafschaft Bedfordshire.
Er war so schnell wie möglich von London aus in Richtung der Great North Road geritten, der wichtigsten Fernstraße zu den nördlichen Metropolen. Da er in den frühen Morgenstunden aufgebrochen war, hatte er die Straßen fast menschenleer vorgefunden. Während er durch Islington, Holloway und Highgate galoppierte, hatte er ein paar Straßenhändler mit ihren Karren sowie den ein oder anderen Fußgänger überholt, doch ansonsten war er ungehindert vorangekommen. Und da Balios weniger schnell ermüdete als ein herkömmliches Pferd, hatte Will schon bald Barnet, South Mimms und London Colney hinter sich gelassen.
Will ritt am liebsten im Galopp – flach auf den Rücken seines Pferds gepresst und den Wind in den Haaren, während die Straße unter Balios’ Hufen nur so dahinflog. Jetzt, da er London verlassen hatte, verspürte er sowohl einen schrecklichen Schmerz als auch ein seltsames Gefühl der Freiheit. Irgendwie erschien es ihm merkwürdig, beides gleichzeitig zu empfinden, doch er konnte es nun mal nicht ändern. Da es in der Nähe von Colney mehrere Teiche gab, hatte er Balios dort getränkt und dann seine Reise fortgesetzt.
Doch nun, fast dreißig Meilen nördlich von London, erinnerte er sich unwillkürlich daran, wie er vor Jahren auf dem Weg zum Institut ebenfalls durch diese Ortschaften gekommen war. Anfangs hatte er eines der Pferde aus dem elterlichen Stall geritten, es aber dann in der Grafschaft Staffordshire verkauft, als ihm bewusst wurde, dass er nicht genügend Geld für die Wegezölle besaß. Heute wusste er, dass man ihm damals einen sehr schlechten Preis für sein Pferd gemacht hatte. Und es hatte ihn Mühe gekostet, sich von Hengroen zu verabschieden, dem Pferd, auf dem er reiten gelernt hatte – und noch mehr Mühe, die verbleibenden Meilen nach London zu Fuß zurückzulegen. Als er endlich am Institut ankam, bluteten seine Füße an zahlreichen Stellen – genau wie seine Hände, da er unterwegs gestürzt war und sich die Haut aufgeschürft hatte.
Nun blickte er auf seine Hände und erinnerte sich daran, wie sie vor fünf Jahren ausgesehen hatten. Schlanke Hände mit langen Fingern – ein typisches Merkmal aller Herondales. Jem hatte immer gesagt, es sei eine Schande, dass Will überhaupt kein musikalisches Talent besaß, weil seine Hände für das Klavierspiel wie geschaffen waren. Der Gedanke an Jem versetzte Will einen Stich ins Herz. Entschlossen schob er seine Erinnerungen beiseite und wandte sich wieder seinem Pferd zu. Er hatte hier Rast gemacht, um Balios zu tränken, ihm eine Handvoll Hafer zu füttern – gut für Schnelligkeit und Ausdauer – und ihm eine Ruhepause zu gönnen. Will kannte zwar die alten Geschichten von den Kavallerieregimentern, die ihre Pferde so lange antrieben, bis sie tot unter ihnen zusammenbrachen. Doch sosehr er Tessa auch zu Hilfe kommen wollte, konnte er sich dennoch nicht vorstellen, Balios etwas derartig Grausames anzutun.
Inzwischen herrschte mehr Verkehr auf den Straßen: Handkarren, von Kaltblutpferden gezogene Brauereiwagen, Molkereikarren und sogar Pferdeomnibusse. Mussten diese Leute wirklich an einem ganz normalen Mittwoch hier herumzockeln und die Straßen verstopfen? Wenigstens gab es keine Wegelagerer mehr: Eisenbahnen, Mautstraßen und vernünftig ausgestattete Polizeieinheiten hatten dem Straßenräubertum schon vor Jahrzehnten ein Ende gesetzt. Will war froh, mit dem Töten irgendwelcher Halunken keine kostbare Zeit verschwenden zu müssen.
Gegen Mittag war er an St. Albans vorbeigekommen, hatte aber keine Pause eingelegt, um möglichst schnell zur Watling Street zu gelangen, der alten Römerstraße, die sich bei Wroxeter aufteilte: Ein Abschnitt führte nach Norden in Richtung Schottland und der andere Abschnitt erstreckte sich bis nach Holyhead an der walisischen Küste. Geister säumten diese Straße – Will schnappte das Raunen manch alter Angelsachsen auf,
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