Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
versuchen zu fliehen, würde ich Sie sowieso wieder einfangen. Ich bin inzwischen deutlich schneller als früher.«
»Waren Sie deswegen auf den Stufen plötzlich verschwunden?«, hakte Tessa nach. »Auf der Treppe des Instituts?«
Mrs Black schenkte ihr ein überlegenes Lächeln. »Ich war nur für Ihre Augen verschwunden. Tatsächlich hab ich mich lediglich schnell zur Seite und dann wieder zurückbewegt. Mortmain hat mir diese Fähigkeit gegeben.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie das hier tun?«, fauchte Tessa. »Aus Dankbarkeit gegenüber Mortmain? Er hatte keine besonders hohe Meinung von Ihnen. Schließlich hat er Jem und Will losgeschickt, um Sie zu töten, als er annahm, Sie könnten seinen Plänen im Weg stehen.«
In dem Moment, in dem Tessa Jems und Wills Namen aussprach, kehrte ihre Erinnerung schlagartig zurück und ließ sie erbleichen. Man hatte sie mitten im Getümmel entführt, während die Schattenjäger auf den Stufen des Instituts verzweifelt um ihr Leben gekämpft hatten. Hatten sie sich gegen die Automaten behaupten können? War irgendjemand von ihnen verwundet oder – Gott bewahre! – getötet worden? Aber das würde sie doch sicher wissen, oder? Sie würde es spüren, wenn Jem oder Will irgendetwas zugestoßen wäre, oder nicht? Sie war mit beiden so eng verbunden wie mit ihrem eigenen Herzen.
»Nein«, sagte Mrs Black in dem Moment. »Um die Frage, die in Ihren Augen geschrieben steht, zu beantworten: Sie würden es nicht wissen, wenn einer der beiden tot wäre – ganz gleich welcher dieser hübschen Schattenjägerknaben, die Sie so anhimmeln. Die meisten Leute bilden sich das gern ein, aber sofern keine magische Verbindung wie etwa ein Parabatai -Bund existiert, handelt es sich dabei nur um Wunschdenken. Als ich mit Ihnen aufgebrochen bin, kämpften die beiden gerade um ihr Leben.« Sie grinste und ihre Zähne schimmerten metallisch in der Dunkelheit. »Wenn Mortmain mich nicht angewiesen hätte, Sie ihm unversehrt zu übergeben, dann hätte ich Sie dort gelassen und zugesehen, wie die Automaten Sie in Stücke zerfetzt hätten.«
»Warum will er mich unverletzt in seine Gewalt bringen?«
»Sie und Ihre ständigen Fragen – ich hatte schon fast vergessen, wie lästig das war. Offenbar gibt es irgendeine Information, die nur Sie ihm liefern können. Und er will Sie noch immer heiraten. Dieser alte Narr! Von mir aus können Sie ihn für den Rest seines Lebens herumschikanieren. Sobald ich bekommen habe, was ich von ihm will, mache ich mich ohnehin aus dem Staub.«
»Aber ich weiß nichts, was für Mortmain von Interesse sein könnte!«
Mrs Black schnaubte. »Sie sind so jung und dumm. Ist Ihnen denn noch immer nicht klar, dass Sie kein Mensch sind, Miss Gray? Offensichtlich wissen Sie nur sehr wenig über Ihre Fähigkeiten. Wir hätten Ihnen möglicherweise mehr beigebracht, aber Sie waren ja so störrisch. Sie werden feststellen müssen, dass Mortmain weniger nachsichtig ist.«
»Nachsichtig?«, fauchte Tessa. »Sie haben mich grün und blau geprügelt.«
»Es gibt Schlimmeres als körperliche Schmerzen, Miss Gray. Und Mortmain kennt keine Gnade.«
»Ganz genau.« Tessa beugte sich vor, während der Klockwerk-Engel unter ihrem Mieder doppelt so schnell schlug wie sonst. »Warum tun Sie, was er von Ihnen verlangt? Sie wissen doch, dass Sie ihm nicht trauen können … und dass er Sie mit dem größten Vergnügen vernichten würde …«
»Ich brauche etwas, was nur er mir geben kann«, erklärte Mrs Black. »Und ich werde alles tun, um es zu bekommen.«
»Und was genau ist das?«, hakte Tessa nach. Sie hörte, wie Mrs Black lachte.
Dann schob die Dunkle Schwester ihre Kapuze nach hinten und öffnete den Kragen ihres Umhangs.
In Geschichtsbüchern hatte Tessa von den aufgespießten Köpfen auf der London Bridge gelesen, sich aber nie vorstellen können, welch grausigen Anblick diese geboten haben mussten. Offensichtlich war der Prozess der Verwesung von Mrs Blacks Kopf nach der Enthauptung nicht rückgängig gemacht worden, denn graue Hautlappen hingen von einem Metallspieß herab, auf den man ihren Schädel gedrückt hatte. Statt eines Körpers besaß sie nur eine glatte Metallstange, aus der zwei stockartige Gliedmaßen herausragten. Und die grauen Glacéhandschuhe, die das verbargen, was sich am Ende dieser Arme befand, verliehen dem Ganzen den letzten makabren Schliff.
Entsetzt schrie Tessa auf.
12
G EISTER AM W EGESRAND
Oh du, die du immer schön, immer
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