Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
in der Eingangshalle hektische Betriebsamkeit: Charlotte wechselte leise ein paar Worte mit Henry, eine Hand schützend auf ihren Bauch gelegt. Tessa wandte den Blick ab, um den beiden einen Moment für sich zu gönnen, und sah dann, wie sich ein heller Haarschopf über einen dunklen beugte. Jem stand mit gezückter Stele neben Will und trug ihm ein Runenmal auf den Hals auf, während Cecily ihren Bruder mit finsterer Miene musterte.
»Auch ich trage praktischerweise bereits eine Kampfmontur«, verkündete sie.
Ruckartig riss Will den Kopf hoch, was Jem ein verärgertes Schnauben entlockte. »Kommt überhaupt nicht infrage, Cecily!«, teilte Will seiner Schwester knapp mit.
»Du hast kein Recht, darüber zu entscheiden.« Cecilys Augen blitzten. »Und ich werde mitkommen.«
Wütend drehte Will den Kopf zu Henry, der entschuldigend die Achseln zuckte. »Sie hat das Recht dazu. Schließlich hat sie die vergangenen zwei Monate hart trainiert …«
»Sie ist doch noch ein kleines Mädchen!«
»Du warst mit fünfzehn auch nicht anders«, bemerkte Jem leise, woraufhin Will wieder zu ihm herumwirbelte. Einen Moment lang schienen alle den Atem anzuhalten, sogar Gabriel. Jem erwiderte Wills Blick ruhig und nicht zum ersten Mal hatte Tessa den Eindruck, als fände zwischen ihnen ein stummer Dialog statt.
Schließlich seufzte Will und ließ den Kopf leicht sinken. »Als Nächstes will Tessa ebenfalls mitkommen.«
»Selbstverständlich komme ich mit«, sagte Tessa. »Ich mag zwar keine Schattenjägerin sein, aber auch ich habe hart trainiert. Jem wird nicht ohne mich aufbrechen.«
»Du trägst doch noch dein Brautkleid«, protestierte Will.
»Nun ja, jetzt, da ihr alle es gesehen habt, kann ich es unmöglich zur Hochzeit tragen«, erklärte Tessa. »Schließlich bringt das Unglück.«
Will stöhnte irgendetwas auf Walisisch – unverständliche Worte, doch eindeutig im Ton eines Mannes geäußert, der sich geschlagen gibt. Jem schenkte Tessa ein kleines, besorgtes Lächeln. Im selben Moment schwang die Institutstür auf und tauchte die Eingangshalle in strahlend helles Herbstlicht.
Cyril stand atemlos auf der Schwelle. »Die zweite Kutsche ist jetzt auch bereit«, verkündete er. »Wer kommt nun alles mit?«
Adressat: Konsul Josiah Wayland
Absender: Die Kongregation
Verehrter Konsul,
wie Ihnen zweifellos bekannt ist, neigt sich Ihre Amtszeit als Konsul nach zehn Jahren nun ihrem Ende entgegen. Es wird Zeit, einen Nachfolger zu bestimmen.
Was uns betrifft, so ziehen wir es ernsthaft in Erwägung, Charlotte Branwell, geborene Fairchild, für diese Position zu benennen. Als Leiterin des Londoner Instituts hat sie hervorragende Dienste geleistet und wir gehen davon aus, dass sie Ihre Zustimmung besitzt, da sie schließlich von Ihnen nach dem Tod ihres Vaters auf diesen Posten berufen wurde.
Da wir größten Wert auf Ihre geschätzte Meinung legen, würden wir es begrüßen, wenn Sie uns Ihre diesbezüglichen Ansichten mitteilen könnten.
Mit vorzüglichster Hochachtung
Victor Whitelaw, Inquisitor, im Namen der Kongregation
2
D ER E ROBERER W URM
Von Tollheit und Sünde gewürzt,
Dahinter sich lauter Elend und Graus
Zum verworrenen Knoten schürzt.
E DGAR A LLAN P OE , »D ER E ROBERER W URM «
Als die Institutskutsche durch das Tor zum Lightwood House in Chiswick ratterte, konnte Tessa die Schönheit des Anwesens in Ruhe bewundern – was bei ihrem ersten Besuch mitten in der Nacht nicht möglich gewesen war. Ein langer, von Bäumen gesäumter Kiesweg führte zu einem imposanten weißen Gebäude mit einer kreisförmigen Auffahrt. Mit seinen klaren, symmetrischen Linien und hoch aufragenden Säulen besaß das Haus große Ähnlichkeit mit Skizzen, die Tessa einmal von antiken griechischen und römischen Tempeln gesehen hatte. Eine Kutsche stand vor der Eingangstreppe.
Sorgfältig gepflegte Kieswege schlängelten sich durch ein Labyrinth von Gärten, die selbst zu dieser kühlen Jahreszeit in leuchtenden Herbstfarben erstrahlten – spät blühende rote Rosen und Winterastern in warmen Orange-, Gelb- und Goldtönen.
Als Henry die Kutsche zum Stehen gebracht hatte, kletterte Tessa mit Jems Hilfe die Stufen hinunter. Nun hörte sie Wasser plätschern: vermutlich ein Bach, den man umgeleitet hatte, damit er durch die Gartenanlage strömte. Dieses Anwesen war so schön, dass Tessa es kaum mit dem Ort in Verbindung bringen konnte, an dem Benedict seinen schrecklichen Ball gegeben hatte – obwohl sie den Pfad
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