Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
stellen würde, und sie konnte Jem unmöglich anlügen.
Will war schlecht gelaunt. Der Tag hatte neblig, feucht, einfach scheußlich begonnen. Er war mit einem unguten Gefühl aus unruhigem Schlaf hochgeschreckt und hatte das Frühstück aus gummiartigen Eiern mit kaltem Speck, das die Wirtin ihm im stickigen Salon serviert hatte, nur mit Mühe hinunterwürgen können. Mit jeder Faser seines Körpers hatte er sich danach gesehnt, schnell aufzubrechen und die Reise fortzusetzen.
Ständige Regengüsse hatten seine Kleidung so durchnässt, dass er nun trotz mehrerer Wärmerunen ununterbrochen zitterte. Auch Balios verabscheute den Schlamm, der an seinen Hufen sog, während sie über die durchweichte Landstraße ritten. Mürrisch fragte Will sich, wie es sein konnte, dass der Nebel sich auch von innen an seiner Kleidung absetzte und kondensierte. Wenigstens hatten sie Northamptonshire erreicht, was immerhin ein kleiner Erfolg war. Aber seit dem Morgen hatten sie nur zwanzig Meilen zurückgelegt und Will weigerte sich, eine Pause einzulegen – obwohl Balios ihm sehnsüchtige Blicke zuwarf, als sie Towcester passierten. Es schien, als würde er um eine Box in einem warmen Stall und etwas Hafer bitten. Und Will war auch fast geneigt, ihm nachzugeben: Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit hatte ihn erfasst, so kalt und unentrinnbar wie der Regen. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, über die Landstraßen zu hetzen? Glaubte er ernsthaft, er könnte Tessa auf diese Weise finden? War das nicht dumm?
Mittlerweile machte auch die umliegende Landschaft keinen allzu einladenden Eindruck mehr und der Schlamm verwandelte den steinigen Untergrund in einen tückischen Pfad. Auf einer Seite des Wegs ragte eine hohe Felswand auf und verdunkelte den Himmel, während das Gelände auf der anderen Seite steil abfiel. Am Boden der Klamm schimmerten die Fluten eines schlammigen Wildbachs. Obwohl Will die Zügel seines Pferdes in Richtung der Felswand zog, weit weg von der tiefen Schlucht, wirkte Balios dennoch nervös und scheute immer wieder vor dem steilen Abhang. Will hatte den Kragen zum Schutz gegen den Regen hochgeklappt und hielt den Kopf beim Reiten gesenkt – und nur aus diesem Grund entdeckte er den goldgrün schimmernden Gegenstand, der zwischen den Felsen am Wegesrand lag.
Im Nu brachte er Balios zum Stehen und schwang sich so schnell aus dem Sattel, dass er im Schlamm fast ausgerutscht wäre. Der Regen prasselte nun förmlich auf ihn herab, als er zur Böschung ging und sich hinkniete, um die goldene Kette zu untersuchen, die sich an einem spitzen Felsvorsprung verfangen hatte. Vorsichtig nahm Will das Schmuckstück an sich und richtete sich auf. Es handelte sich um einen kreisrunden Jadeanhänger, mit eingravierten chinesischen Schriftzeichen auf der Rückseite. Will wusste nur zu gut, was dort stand:
Doch wo zwei Menschen einig sind in ihrem innern Herzen, da brechen sie die Stärke selbst von Eisen oder Erzen.
Jems Verlobungsgeschenk an Tessa. Wills Hand schloss sich fest um den Anhänger, während er einen Moment reglos dastand. Unwillkürlich musste er an die Begegnung mit Tessa im Treppenhaus denken. Der Jadeanhänger an ihrem Hals hatte ihm wie eine brutale Erinnerung an Jem entgegengeleuchtet, als Tessa gesagt hatte: Es heißt, man könne sein Herz nicht teilen, und dennoch …
»Tessa!«, brüllte Will plötzlich laut und seine Stimme hallte von den Felswänden wider. »Tessa!«
Einen Augenblick lang stand er zitternd am Wegesrand. Was hatte er denn erwartet – etwa eine Antwort? Es war doch ziemlich unwahrscheinlich, dass Tessa hier steckte, irgendwo verborgen zwischen den Felsen. Und wie zur Bestätigung hörte Will nur das Rauschen von Wind und Regen. Dennoch wusste er ohne jeden Zweifel, dass es sich bei dem Schmuckstück um Tessas Anhänger handelte. Vielleicht hatte sie sich die Kette vom Hals gerissen und aus dem Fenster der Kutsche fallen lassen, um ihm den Weg zu zeigen, so wie Hänsel und Gretel mit Brotkrumen den Pfad durch den Wald markiert hatten. Die Tat einer Märchenbuchheldin – und deshalb etwas, das seine Tessa, ohne zu zögern, tun würde. Vielleicht fanden sich ja noch weitere Hinweise, wenn er diesem Weg folgte, überlegte Will. Und zum ersten Mal seit langer Zeit keimte Hoffnung in ihm auf.
Mit frischem Mut kehrte er zu Balios zurück und schwang sich in den Sattel. Er würde keine weiteren Pausen einlegen; bis zum Abend würden sie auf jeden Fall Staffordshire erreichen. Als Will
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