Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
die so fein und mehrgliedrig waren wie ihre eigenen und sie festhielten, während die Schwingen sich langsam auf- und abbewegten. Tessa hatte das Gefühl, als würde sie schweben, sanft und leicht wie eine Pusteblume in der Brise.
Vielleicht sterbe ich ja, überlegte sie, das hier kann doch nicht sein. Aber der Engel hielt sie sicher, während sie gemeinsam nach unten sanken und der Boden immer näher kam. Schon bald konnte Tessa einzelne Felsen am Rand des Flusses ausmachen, die Stromschnellen um sie herum, die Spiegelung des Monds im Wasser. Die dunklen Schatten der Engelsschwingen zeichneten sich immer deutlicher und größer auf dem Untergrund ab, bis Tessa in diese Schatten eintauchte und zusammen mit dem Engel im Geröll des Flussufers landete.
Keuchend schnappte sie nach Luft, als sie auf dem Boden auftraf – allerdings eher vor Schreck als vor Schmerz. Dann hob sie rasch die Hände, als könnte sie den Sturz des Engels mit ihrem Körper abfangen. Doch der Klockwerk-Engel begann bereits zu schrumpfen; seine Schwingen falteten sich zusammen und er wurde kleiner und kleiner, bis er wieder seine ursprüngliche Größe erreicht hatte und wie ein Spielzeug neben ihr am Flussufer landete. Zitternd streckte Tessa eine Hand aus und zog ihn zu sich heran. Sie lag auf den harten Felsen und zum Teil in den eisigen Fluten; ihre Röcke sogen sich bereits mit kaltem Wasser voll. Hastig drückte Tessa den Anhänger an sich und kroch mit letzter Kraft die Uferböschung hinauf, wo sie schließlich auf trockenem Untergrund zusammenbrach, den Engel an ihre Brust gepresst, sein vertrautes Ticken dicht an ihrem Herzen.
Sophie saß an Jems Bett, in dem Sessel, der eigentlich Wills Stammplatz war, und wachte über den Schlaf des jungen Schattenjägers.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre sie beinahe dankbar für eine Gelegenheit wie diese gewesen, überlegte sie – die Gelegenheit, Jem so nahe sein und ihm kalte Umschläge auf die Stirn legen zu können, während er sich im Fieber unruhig wälzte. Und obwohl sie ihn nicht mehr so wie früher liebte – auf eine Weise, wie man jemanden liebte, den man überhaupt nicht kannte, nämlich voller Bewunderung und aus großer Distanz –, brach es ihr dennoch das Herz, ihn so zu sehen.
Sie erinnerte sich daran, wie vor vielen Jahren eines der Mädchen in ihrem Heimatort an Auszehrung gestorben war und wie die Dorfbewohner darüber gesprochen hatten, dass die Krankheit sie erst schöner gemacht hatte, bevor sie ihr das Leben nahm: Die Tuberkulose hatte sie blasser und schlanker erscheinen lassen und ihren Wangen einen fiebrigen rosigen Glanz verliehen.
Auch Jems Gesicht war vom Fieber gerötet, während er den Kopf unruhig hin und her warf. Sein silberweißes Haar sah aus wie ein Frostgespinst und seine dünnen Finger krallten sich rastlos in die Bettdecke. Gelegentlich murmelte er ein paar Worte, aber immer auf Mandarin, was Sophie nicht verstand. Wieder und wieder rief er nach Tessa – Wo ai ni, Tessa. Bu lu run, he qing kuang fa sheng, wo men dou hui zai yi qi – und nach Will – s heng si zhi jiao –, und das auf eine Weise, die in Sophie den Wunsch weckte, Jems Hand zu nehmen und sie festzuhalten. Doch als sie seine Finger berührte, stieß er einen unterdrückten Schrei aus und riss die glühend heiße Hand weg.
Ratlos sank Sophie gegen die Sessellehne und fragte sich, ob sie Charlotte herbeiholen sollte. Charlotte würde bestimmt darüber informiert werden wollen, falls sich Jems Zustand verschlimmerte. Sophie wollte sich gerade erheben, als Jem plötzlich keuchte und ruckartig die Augen aufschlug. Unschlüssig verharrte Sophie in ihrem Sessel und musterte Jem besorgt. Seine Iriden schimmerten in einem so hellen Silberton, dass sie fast weiß wirkten.
»Will?«, fragte er. »Will, bist du das?«
»Nein«, erwiderte Sophie mit angehaltenem Atem; sie wagte es kaum, sich zu bewegen. »Ich bin’s, Sophie.«
Jem holte leise Luft und drehte den Kopf in ihre Richtung. Sie sah, dass es ihn Mühe kostete, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Doch dann lächelte er unfassbarerweise – jenes freundliche Lächeln, mit dem er vor vielen Jahren ihr Herz gewonnen hatte. »Natürlich«, murmelte er. »Sophie. Will ist nicht … Ich habe ihn fortgeschickt.«
»Er hat Tessas Verfolgung aufgenommen«, erklärte Sophie.
»Gut.« Jems lange Finger zupften an der Bettdecke, ballten sich zu Fäusten – und entspannten sich dann. »Ich … bin froh darüber.«
»Er fehlt Ihnen«,
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