Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
dass es sich um ihren Klockwerk-Engel handelte. »Er tickt nicht mehr«, bemerkte er. Tessa konnte seine Stimme nicht deuten; sie klang distanziert und so glatt und kalt wie ein Kieselstein.
»Sein Herz ist verschwunden. Als ich mich in den Engel verwandelt habe, da habe ich ihn aus seinem Klockwerk-Gefängnis befreit. Ithuriel ist nicht mehr darin. Er beschützt mich nicht länger.«
Jems Hand schloss sich um den Engel und die scharfen Kanten der Schwingen gruben sich in seine Haut. »Ich muss dir etwas gestehen: Als ich Charlottes Anweisung erhielt, hierher zum Institut zu kommen, geschah das gegen meinen ausdrücklichen Wunsch.«
»Du wolltest mich nicht sehen?«
»Nein. Ich wollte nicht, dass du mich so ansiehst, wie du mich jetzt ansiehst.«
»Jem …« Tessa musste schlucken und schmeckte auf ihrer Zunge noch immer den bitteren Geschmack des Heiltranks, den er ihr verabreicht hatte. Im nächsten Moment drohte eine Flut von Erinnerungen, sie zu überwältigen: die Dunkelheit unter dem Cadair Idris, das brennende Dorf, Wills Arme um ihren Körper … Will. Aber sie hatte geglaubt, Jem sei tot. »Jem«, setzte sie erneut an. »Als ich dich in diesem Höhlenlabyrinth wiedergesehen habe, stark und lebendig, da dachte ich, es müsse ein Traum oder eine Illusion sein. Ich hatte dich für tot gehalten, und das war die dunkelste Stunde meines ganzen Lebens. Bitte, eines musst du mir glauben: Mein Herz jubelt bei deinem Anblick – wo ich doch befürchtet hatte, ich würde dich nie wiedersehen. Es ist nur so … «
Er lockerte den Griff um den Metallengel und Tessa sah Blut in seiner Hand, dort, wo sich die Spitzen der Schwingen in seine Haut gegraben hatten, direkt über die Runen der Bruderschaft. »Ich bin dir fremd«, beendete er den Satz für sie. »Ich erscheine dir nicht menschlich.«
»Du wirst für mich immer ein Mensch bleiben«, wisperte Tessa. »Aber ich erkenne meinen Jem kaum in dir.«
Er schloss die Augen. Tessa rechnete mit dem Anblick dunkler Schatten auf seinen Lidern, doch diese waren verschwunden. »Mir blieb keine andere Wahl. Du warst fort und Will war dir an meiner Stelle nachgeritten. Den Tod habe ich nicht gefürchtet, aber ich fürchtete mich davor, euch beide im Stich zu lassen. Die Bruderschaft war das Einzige, was mir noch blieb. Um weiterzuleben und weiterzukämpfen.« Irgendetwas hatte sich in seine Stimme geschlichen: Leidenschaft schwang darin mit, deutlich spürbar hinter der kühlen Distanz der Stillen Brüder. »Aber ich wusste, was ich damit aufgeben würde«, fuhr er fort. »Einst hast du meine Musik verstanden. Nun siehst du mich so an, als würdest du mich überhaupt nicht kennen. Als ob du mich nie geliebt hättest.«
Rasch schob Tessa die Füße unter der Bettdecke hervor und stand auf – was ein Fehler war. Denn plötzlich wurde ihr furchtbar schwindlig und ihre Knie gaben nach. Hastig streckte sie eine Hand aus, um an einem der Bettpfosten Halt zu suchen, und stellte dann fest, dass sie stattdessen einen Stück von Jems pergamentfarbener Robe umklammerte. Er war ihr blitzschnell zu Hilfe geeilt, mit der anmutigen, lautlosen Bewegungsweise der Brüder, die Tessa immer an wallenden Rauch erinnerte. Dann schlang er die Arme um sie und hielt sie aufrecht.
Tessa erstarrte in seiner Umarmung. Er stand nun dicht vor ihr, so dicht, dass sie eigentlich seine Körperwärme hätte spüren müssen … doch da war nichts. Auch sein typischer Duft nach Kaminfeuer und Karamellzucker war verschwunden. An ihm haftete nur ein schwacher Geruch, kalt und trocken, wie altes Gemäuer oder Papier. Sie konnte den gedämpften Rhythmus seines Herzschlags spüren, den Puls an seiner Kehle sehen. Verwundert schaute sie ihn an, prägte sich die Konturen und Flächen seines Gesichts ein, die Narben auf seinen Wangen, die seidigen Wimpern, die geschwungene Form seines Mundes.
»Tessa.« Ihr Name drang wie ein Stöhnen über seine Lippen, als hätte sie ihn geschlagen. Ein Hauch von Farbe war in seine Wangen zurückgekehrt, wie Blut unter Schnee. »Oh Gott«, stieß er hervor und begrub sein Gesicht in Tessas Halsbeuge, drückte seine Wange in ihr Haar. Seine Hände lagen flach auf ihrem Rücken, pressten sie fest an sich. Tessa konnte spüren, dass er am ganzen Leib zitterte.
Einen Moment lang fühlte sie sich wie berauscht, vor Erleichterung und dem Gefühl, Jems Körper unter ihren Händen zu spüren. Vielleicht konnte man manche Dinge ja erst dann wirklich glauben, wenn man sie berührt
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