Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Cyril, die Henry in seinen Stuhl halfen; die Lightwood-Brüder, die sich im Flur – noch ein wenig verschlafen – zankten; Cecily, die zweifellos vor seiner Zimmertür stand, um mit ihm zu reden, so wie sie es schon mehrfach getan und dabei jedes Mal – vergeblich – versucht hatte, ihre offensichtliche Sorge um ihn zu verbergen.
Und Jem und Tessa, die sich in Tessas Zimmer unterhielten.
Will wusste, dass Jem im Institut sein musste, weil die Kutsche der Bruderschaft im Innenhof stand; er konnte sie vom Fenster des Fechtsaals aus sehen. Aber darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Obwohl er Charlotte selbst darum gebeten hatte, musste er nun, da sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, dennoch feststellen, dass er sich nicht überwinden konnte, zu lange darüber nachzudenken. Und deshalb hatte es ihn in den Raum gezogen, den er immer aufsuchte, wenn ihn etwas bedrückte. Seit dem Sonnenaufgang hatte er Messer für Messer auf die Zielscheibe geworfen und inzwischen war sein Hemd schweißgetränkt und klebte an seinem Rücken.
Pfump. Pfump. Pfump. Die Messer trafen die Holzwand, jedes mitten ins Zentrum der Zielscheibe. Will erinnerte sich daran, wie er als Zwölfjähriger nur davon hatte träumen können, ein Messer auch nur in die Nähe der Zielscheibe zu bringen. Jem hatte ihm geholfen: Er hatte ihm gezeigt, wie man die Klinge halten, das Messer auf das Ziel ausrichten und dann werfen musste. Von allen Räumen des Instituts war der Fechtsaal der Ort, den er am stärksten mit Jem in Verbindung brachte – abgesehen von Jems eigenem Zimmer, aus dem man Jems persönliche Sachen aber inzwischen entfernt hatte. Der Raum war wieder ein ganz normales Gästezimmer des Instituts, das auf den Besuch des nächsten Schattenjägers wartete. Sogar Church schien das Zimmer nicht mehr betreten zu wollen; manchmal stand er noch wartend vor der Tür, aber er schlief nicht mehr auf dem Bett, wie er es während Jems Anwesenheit so oft getan hatte.
Will überlief ein Frösteln: Zu dieser frühen grauen Morgenstunde war es im Fechtsaal ziemlich kalt. Das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt, ein ungefährlicher Schatten rötlich und golden schimmernder Glut. Vor seinem inneren Auge sah Will wieder zwei Jungen, die in diesem Raum auf dem Boden vor dem knisternden Kaminfeuer gesessen hatten: ein Junge mit pechschwarzen Locken und einer mit schneeweißem Haar. Damals hatte er Jem beigebracht, wie man Écarté spielte, mit einem Kartendeck, das er aus dem Salon stibitzt hatte.
Irgendwann hatte Will dann – verärgert, dass er das Spiel zu verlieren drohte – die Karten ins Feuer geworfen und fasziniert zugesehen, wie sie eine nach der anderen verbrannten, während die Flammen sich gierig durch das glänzende Papier fraßen. Und Jem hatte gelacht: »So kannst du nicht gewinnen.«
»Manchmal ist das die einzige Möglichkeit zu gewinnen«, hatte Will erwidert. »Einfach alles niederbrennen.«
Nun marschierte er mit finsterer Miene zur Zielscheibe. Einfach alles niederbrennen. Er hatte noch immer Schmerzen am ganzen Körper. Während er die Messer aus dem Holzbrett zog, sah er die blaugrün schillernden Blutergüsse auf seinen Armen, die trotz der Iratze noch nicht verheilt waren, sowie mehrere Narben von der Schlacht unter dem Cadair Idris, die wohl nie mehr verschwinden würden. Seine Gedanken kehrten zu der Höhle zurück, in der Jem und er Seite an Seite die Automaten niedergemetzelt hatten. In dem Augenblick hatte er das gar nicht richtig zu schätzen gewusst: der letzte gemeinsame Kampf.
Wie als Antwort auf seine Gedanken fiel im nächsten Moment ein Schatten durch die Tür. Will schaute auf – und beinahe wäre ihm das Messer aus der Hand geglitten. »Jem?«, fragte er. »James, bist du das?«
»Wer sonst?«, erwiderte Jem. Als er ins Licht des Fechtsaals trat, sah Will, dass er die Kapuze seiner Robe zurückgeschlagen hatte und ihn direkt anschaute. Sein Gesicht, seine Augen waren so vertraut wie immer. Aber bisher hatte Will Jem immer schon spüren können, bevor dieser einen Raum betrat. Und die Tatsache, dass Jem ihn dieses Mal überrascht hatte, erinnerte ihn schmerzlich an die Veränderungen, die sein Parabatai durchgemacht hatte.
Er ist nicht länger dein Parabatai , nicht mehr, sagte eine kleine Stimme in seinem Inneren.
Mit den lautlosen Bewegungen der Stillen Brüder schloss Jem die Tür hinter sich und drehte sich wieder zu Will um. Will rührte sich nicht von der Stelle. Er fühlte sich nicht dazu in
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