Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Schneebällen bombardiert hatten, wie sie wie Welpen völlig ermattet auf dem Teppich vor dem offenen Kamin eingeschlafen waren.
Ave atque vale, dachte Will. Sei gegrüßt und leb wohl. Bisher hatte er diesen Worten keine besondere Beachtung geschenkt, hatte nie darüber nachgedacht, warum sie nicht nur einen Abschied enthielten, sondern auch eine Begrüßung. Jede Zusammenkunft führte unweigerlich zu einer Trennung und daran würde sich nichts ändern, solange das Leben endlich war. Jede Zusammenkunft trug einen Hinweis auf den Schmerz der Trennung in sich, aber in jeder Trennung schwang auch die Freude über ein zukünftiges Wiedersehen mit.
Und er würde diese Freude nicht vergessen.
»Wir haben eben darüber gesprochen, wie wir Lebewohl sagen sollen«, setzte Jem an. »Als Jonathan sich von David verabschiedete, sagte er ›Gehe hin mit Frieden! Was wir beide geschworen haben im Namen des HERRN und gesagt: Der HERR sei zwischen mir und dir, das bleibe ewiglich.‹ Die beiden sind einander nie wieder begegnet, aber sie haben sich auch nicht vergessen. Und das Gleiche gilt für uns. Wenn ich erst Bruder Zachariah bin, wenn ich diese Welt nicht mehr mit menschlichen Augen sehe, wird ein Teil von mir dennoch immer der Jem bleiben, den du gekannt hast. Und ich werde dich mit dem Herzen sehen.«
»Wo men shi sheng si ji jiao«, flüsterte Will und bemerkte, wie Jems Augen sich einen Hauch weiteten und ihn leicht amüsiert musterten. »Gehe hin mit Frieden, James Carstairs.«
Die beiden schauten einander ein letztes Mal lange an, dann schlug Jem seine Kapuze hoch, verbarg das Gesicht in den Schatten und wandte sich zum Gehen.
Will schloss die Augen. Er konnte nicht hören, wie Jem den Saal verließ, nicht mehr. Und er wollte es auch gar nicht wissen, wollte nicht wissen, wann Jem gegangen und er allein war und wann sein erster Tag als Schattenjäger ohne einen Parabatai wahrhaftig begann. Und als sich die Stelle über seinem Herzen, an der sich einst seine Parabatai rune befunden hatte, mit einem plötzlichen Schmerz meldete, während die Tür hinter Jem ins Schloss fiel, redete Will sich ein, dass es sich um einen aufgewirbelten Funken aus der Glut im Kamin gehandelt haben musste.
Er lehnte sich an die Wand, rutschte langsam daran herunter, bis er auf dem Boden saß, neben seinem Wurfmesser. Will vermochte nicht zu sagen, wie lange er dort hockte, aber er hörte das Klappern von Hufen im Innenhof, das Rattern der Kutsche, die sich in Bewegung setzte, das metallische Klirren des Tors, das sich hinter dem Gespann schloss. Staub und Schatten sind wir.
»Will?«
Verwundert schaute er auf; er hatte die schlanke Gestalt im Türrahmen des Fechtsaals gar nicht bemerkt. Charlotte trat einen Schritt vor und schenkte ihm ein liebes Lächeln, so wie sie es schon immer getan hatte. Will musste sich zwingen, die Augen nicht vor seinen Erinnerungen zu verschließen – Charlotte im Türrahmen genau dieses Raums: Hast du vergessen, was ich dir gestern erzählt habe? Dass wir heute einen Neuankömmling im Institut erwarten? … James Carstairs …
»Will«, sagte sie erneut. »Du hast recht gehabt.«
Langsam hob Will den Kopf, seine Hände baumelten zwischen seinen Knien. »Womit? Was meinst du?«
»Jem und Tessa«, erklärte Charlotte. »Ihre Verlobung ist gelöst. Und Tessa ist wieder bei Bewusstsein. Sie ist wach und wohlauf und hat nach dir gefragt.«
Wenn ich in der Dunkelheit bin, möchte ich mir vorstellen, dass er sich im Licht befindet, zusammen mit dir.
Tessa saß aufrecht in den Kissen, die Sophie aufgeschüttelt und sorgfältig um sie herum arrangiert hatte. Zuvor hatten die beiden einander kurz umarmt und Sophie hatte Tessa die wirren Haare aus dem Gesicht gestrichen und ununterbrochen »ein Segen, welch ein Segen!« gerufen – und zwar so oft, dass Tessa sie bitten musste, damit aufzuhören, ehe sie schließlich beide in Tränen ausbrachen. Nun betrachtete Tessa nachdenklich den Jadeanhänger in ihrer Hand.
Sie hatte das Gefühl, als wäre sie in zwei Hälften geteilt, in zwei völlig verschiedene Menschen. Ein Teil von ihr war froh und dankbar, dass Jem noch lebte, dass seine Tage nicht länger gezählt waren, dass die giftige Substanz ihm nicht den letzten Lebensfunken aus den Adern gebrannt hatte. Die andere Hälfte jedoch …
»Tess?« Eine sanfte Stimme an der Tür. Tessa schaute auf und entdeckte Will – eine Silhouette im Schein des Lichts, das aus dem Flur ins Zimmer fiel.
Will. Sie dachte an
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