Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
hatte, bewies, dass er Tessa noch immer überraschen konnte, und lachte – ein sanftes, wehmütiges Lachen. »Ich habe nicht erwartet, dass du so geradeheraus sein würdest, hätte aber vermutlich damit rechnen müssen. Schließlich kenne ich meine Tessa.«
»Ich bin wirklich deine Tessa, Will«, bestätigte sie. »Aber ich möchte nicht, dass du jetzt weiterredest … dass du von Heirat sprichst, von lebenslangen Versprechen …«
Langsam ließ Will sich auf der Bettkante nieder. Er trug seine Kampfmontur, hatte die Ärmel hochgekrempelt und den Kragen weit geöffnet. Tessa konnte die verheilenden Wunden der Schlacht gegen die Automaten auf seiner Haut sehen und die weißen Narben der Heilrunen. Und sie konnte einen verletzten Ausdruck in seinen Augen erkennen. »Bedauerst du, was zwischen uns passiert ist?«, fragte er.
»Kann man etwas bedauern, das zwar unklug gewesen sein mag, aber gleichzeitig wunderschön war?«, erwiderte sie, woraufhin sich Wills Ausdruck von gekränktem Schmerz in Verwirrung verwandelte.
»Tessa. Falls du fürchtest, ich könnte Bedenken haben, mich verpflichtet fühlen …«
»Nein.« Beruhigend hob Tessa die Hände. »Es ist nur so, dass in deinem Herz, glaube ich, im Moment ein furchtbares Durcheinander aus Kummer, Verzweiflung, Erleichterung, Glück und Verwirrung herrscht. Und ich möchte nicht, dass du irgendwelche Versprechungen machst, solange in dir so widerstreitende Gefühle toben. Sag jetzt nicht, es wäre nicht so – ich kann es dir genau ansehen und ich empfinde genauso. In uns beiden toben gerade viele Gefühle, Will, und keiner von uns ist in der Verfassung, jetzt weitreichende Entscheidungen zu treffen.«
Will zögerte einen Augenblick. Seine Finger schwebten über seinem Herzen, über der ehemaligen Parabatai rune, und berührten die Stelle behutsam – Tessa fragte sich, ob er sich dieser Geste überhaupt bewusst war. Dann sagte er: »Manchmal bist du einfach zu weise, Tessa.«
»Nun ja«, räumte sie ein. »Einer von uns muss das nun mal sein.«
»Kann ich denn gar nichts tun?«, fragte er. »Ich möchte dich ungern allein lassen – es sei denn du willst, dass ich gehe.«
Tessa warf einen vielsagenden Blick auf den Nachttisch, auf den Stapel mit ihren Büchern, die sie angefangen hatte zu lesen, bevor die Automaten das Institut angegriffen hatten – was inzwischen eine halbe Ewigkeit zurückzuliegen schien. »Du könntest mir etwas vorlesen«, sagte sie. »Falls es dir nichts ausmacht.«
Bei diesen Worten schaute Will auf und lächelte – ein stürmisches, ungewohntes, aber aufrichtiges Lächeln, ein typisches Will-Lächeln. »Nein, es macht mir nichts aus. Ganz im Gegenteil«, erwiderte er.
Und so kam es, dass eine Viertelstunde später, als Charlotte vorsichtig Tessas Tür aufdrückte und in das Zimmer hineinspähte, Will in einem Sessel saß und Tessa aus David Copperfield vorlas. Charlotte hatte sich furchtbare Gedanken gemacht: Will hatte so verzweifelt ausgesehen, allein auf dem Boden des Fechtsaals, so schrecklich einsam. Sie erinnerte sich an ihre beständige Sorge, dass Jem bei seinem Tod alles, was an Will gut war, mit sich ins Grab nehmen würde. Und Tessa wirkte noch immer so zerbrechlich …
Wills leise Stimme drang durch den Raum, zusammen mit dem sanften Schein der Glut im Kamin. Tessa lag auf der Seite, die braunen Haare über das Kissen gebreitet, und sah Will an, der den Kopf über die Seiten gebeugt hatte. Sie betrachtete ihn mit einem unendlich zärtlichen Ausdruck in den Augen – eine Zärtlichkeit, die sich in Wills weicher Stimme widerspiegelte, während er vorlas. Eine Zärtlichkeit, die so intim und intensiv war, dass Charlotte sofort einen Schritt zurücktrat und die Tür geräuschlos ins Schloss gleiten ließ.
Dennoch folgte ihr Wills Stimme durch den Flur, als sie zur Treppe ging, mit deutlich leichterem Herzen als nur wenige Momente zuvor:
»… undihnbewachenkann,wennichmichdamitnichtzukühnausdrücke. Spinnt Uriah Heep einen verräterischen Plan gegen ihn, so hoffe ich, dass Wahrheit und schlichte LiebeamEnde stärker sein werden.Ich hoffe, dass sie imstande sind, alles Übel und Unglück in der Welt am Ende zu überwinden.«
24
D AS M ASS DER L IEBE
Das Maß der Liebe ist eine Liebe ohne Maß.
A URELIUS A UGUSTINUS Z UGESCHRIEBEN
Der Sitzungssaal strahlte in hellem Licht. Auf dem Podium im vorderen Teil des Raums war ein großer Doppelkreis aufgemalt und in dem schmalen Bereich zwischen den beiden Kreisen prangten
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