Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
den jungen Mann zurück, der in ihr Zimmer im Dunklen Haus eingedrungen war und sie einen Moment abgelenkt hatte mit Geschichten über Tennyson und Igel und stattliche Kavaliere, welche junge Damen vor einem schrecklichen Schicksal bewahrten und niemals falsch lagen. Damals hatte sie ihn sehr attraktiv gefunden, doch inzwischen sah sie noch so viel mehr in ihm: Er war Will, in all seiner vollkommenen Unvollkommenheit; Will, dem das Herz so leicht gebrochen werden konnte und der es gleichzeitig sorgfältig schützte; Will, der nicht weise liebte, sondern mit Leib und Seele und allem, was er hatte.
»Tess«, sagte er erneut und zögerte angesichts ihres Schweigens. Unschlüssig trat er ein und lehnte die Tür hinter sich nur an. »Ich… Charlotte meinte, du wolltest mich sprechen …«
»Will«, stieß Tessa hervor. Sie wusste, dass sie zu blass war und ihre Haut noch Spuren der Tränen zeigte und ihre Augen noch immer gerötet waren. Doch das alles spielte keine Rolle, denn das hier war Will. Tessa streckte die Hände aus und er kam sofort zu ihr und nahm ihre Finger in seine eigenen warmen, rauen Hände.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er und musterte eingehend ihr Gesicht. »Ich muss unbedingt mit dir reden, möchte dich aber nicht belasten, solange du nicht wieder vollständig bei Kräften bist.«
»Mir geht es gut«, erklärte Tessa und erwiderte den Druck seiner Hände. »Jems Besuch hat mich zur Ruhe kommen lassen. Dich auch?«
Will wandte den Blick ab, hielt ihre Hände aber weiterhin fest. »Ja und nein«, erwiderte er.
»Dein Verstand ist beruhigt, aber nicht dein Herz.«
»Genau«, bestätigte Will. »Genau so ist es. Du kennst mich so gut, Tess.« Er schenkte ihr ein wehmütiges Lächeln. »Jem lebt und dafür bin ich dankbar. Aber er hat einen einsamen Weg gewählt. Die Brüder der Stille…essen allein, gehen allein ihren Aufgaben nach, erwachen morgens allein und sehen abends allein der Nacht entgegen. Wenn ich könnte, würde ich ihm das gern ersparen und ihn vor diesem Schicksal bewahren.«
»Du hast ihn vor allem bewahrt, wovor du ihn bewahren konntest«, erwiderte Tessa leise. »So wie er dich vor vielem bewahrt hat und wie wir alle versucht haben, uns gegenseitig vor Kummer zu bewahren. Aber letztendlich muss jeder seine eigene Entscheidung treffen.«
»Willst du damit sagen, dass ich nicht um ihn trauern sollte?«
»Nein. Trauern ja. Wir beide werden um ihn trauern. Aber du solltest dir keine Vorwürfe machen, denn du trägst keine Verantwortung für seine Entscheidung.«
Will warf einen kurzen Blick auf ihre verschränkten Hände. Behutsam strich er mit den Daumen über Tessas Fingerknöchel. »Vielleicht ja nicht«, räumte er ein. »Aber es gibt andere Dinge, für die ich die Verantwortung trage.«
Kurzatmig holte Tessa Luft. Er hatte die Stimme gesenkt und darin schwang ein heiserer Ton mit, den sie nicht mehr gehört hatte, seit …
Sein Atem weich und warm auf ihrer Haut, bis ihr Puls genauso schnell ging wie seiner, ihre Hände auf seinen Schultern, seinen Armen, seinen Hüften …
Sie blinzelte hastig und entzog ihm ihre Hände. In ihren Erinnerungen sah sie wieder den Schein des Kaminfeuers an den Wänden der Höhle, hörte wieder seine Stimme an ihrem Ohr. Das alles war wie ein Traum gewesen, von der Wirklichkeit losgelöste Momente, als fänden sie in irgendeiner anderen Welt statt. Selbst jetzt konnte Tessa kaum glauben, dass das wirklich alles passiert war.
»Tessa?« Wills Stimme klang zögerlich und er streckte ihr die Hände noch immer entgegen.
Ein Teil von ihr wollte seine Hände nehmen, ihn zu sich hinabziehen, ihn küssen und sich in Will verlieren, so wie sie es schon zuvor getan hatte. In dieser Hinsicht war seine Nähe mindestens so wirkungsvoll wie jede andere Droge.
Doch dann erinnerte Tessa sich wieder an Wills getrübten Blick in der Ifritdrogenhöhle … der Traum von Glück, der in dem Moment in sich zusammenbrach, in dem die Wirkung des Rauschs nachließ. Nein. Manche Dinge konnten nur dadurch bewältigt werden, dass man sich ihnen mit klarem Kopf stellte. Tessa holte tief Luft und schaute Will eindringlich an.
»Ich weiß, was du sagen willst«, meinte sie. »Du denkst an das, was zwischen uns am Cadair Idris passiert ist, weil wir dachten, Jem sei tot und wir beide würden auch bald sterben. Du bist ein ehrenhafter Mann, Will, und du weißt, was du nun zu tun hast: Du musst mir einen Heiratsantrag machen.«
Will, der vollkommen reglos dagestanden
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